Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen
an.
»Was quatschen Sie da?«
»Bei der großen Strömung könnten die Lianenschlingen von den glatten Baumstämmen abrutschen – in den Einkerbungen sitzen sie fest. Verstehen Sie das?«
»Er ist doch zu etwas zu gebrauchen«, sagte Serra grob. Aber er lächelte dabei. »Gute Idee, Hellmut. Wir kerben ein!«
Sie arbeiteten fünf Stunden, brieten dann Fleisch, aßen und beobachteten, wie die Yincas Fische fingen. Es war ganz einfach: Sie warfen kleine, rohe Fleischstückchen in den Fluß, warteten, bis die Fische gierig heranschossen, und stachen sie dann mit ihren langen, dünnen Speeren aus dem Wasser.
»Nur in den Fluß fallen darf man dabei nicht«, sagte Serra träge. Er war satt und hätte eigentlich geschlafen, wenn der Bau der schwimmenden Inseln nicht sofort weitergegangen wäre. »Ich weiß auch nicht, was da alles im Wasser herumwimmelt, ich weiß nur, daß hier alles feindlich ist und jeder auf Kosten des anderen überleben muß. Das nennt man Paradies …«
Sie blieben vier Tage in der Bucht, fällten Bäume, kerbten die Bindstellen ein, verschnürten die Stämme miteinander und begannen dann, das erste Floß künstlich zu bepflanzen.
An den Abenden versorgte Serra Xinxaré mit Salz und einigen Schlucken Gin. »Den großen Schluck bekommt er, wenn wir abhauen«, sagte Serra zu Peters. »Wenn er wieder klar denken kann, müßten wir in der Nähe der Ximbús sein. Hoffentlich war nicht alles umsonst.«
»Sie meinen …« Peters sprach es nicht aus. Sein Mund war plötzlich wie mit Leder ausgeschlagen.
»Es kommt darauf an, wie sich Ihre Gloria benommen hat. So ungeheuerlich dämlich, wie wir Weißen alle anderen Hautfarben ansehen, sind die Indios gar nicht. Sie merken genau, ob sie eine Göttin aufgesammelt haben oder nur einen weißen Menschen. Im letzteren Fall ist Gloria bereits ein niedlicher, heller Schrumpfkopf.«
»Sie Sadist!« stöhnte Peters. Eine heftige Übelkeit überfiel ihn. »Sie gemeiner Hund! Gloria lebt!«
»Halleluja! Wir werden's bald wissen.«
Die Yincas waren Meister der Tarnung. Was sie aus dem einfachen Floß machten, war geradezu phantastisch. Nach vier Tagen schwamm wirklich ein Stück abgerissener Erde auf dem Fluß, ein Gewirr von verborgenen Büschen und Riesenfarnen, verfilzten Sträuchern und abgestorbenen Ästen. Treibgut auf einem Urwaldstrom, der täglich seine Ufer veränderte.
Serra machte eine Probe und versteckte sich in dem Gewirr der Floßbepflanzung. Man sah ihn nicht, so vollkommen war das Versteck.
»Bravo!« sagte Peters zu Xinxaré. »Das ist ein Meisterwerk.«
Der Indiohäuptling verstand ihn nicht, aber er hörte an der Stimme, daß es etwas Gutes war. Er nickte und lachte sogar, als Serra wieder aus dem Gebüsch kroch und an Land sprang.
»Morgen können wir losschwimmen«, sagte Serra später leise zu Peters. Sie saßen um das Feuer, aßen wieder gebratenes Fleisch und tranken einen süßlichen, aber erfrischenden Saft, den die Indios aus sowohl Peters wie Serra unbekannten Bäumen zapften, so wie man in Europa Birkenwasser gewinnt.
»Nicht in der Nacht?« fragte Peters ungeduldig.
»Auf gar keinen Fall! Wir können es uns nicht leisten, an Sandbänken oder Felsen anzubumsen. So stabil ist Ihr eingekerbtes Floß auch wieder nicht. Nein, wir müssen genau sehen, wohin wir treiben, und wir müssen die Möglichkeit haben, unsere schwimmende Insel zu lenken. Das fehlt übrigens noch: eine Art Steuerruder.«
»Es ist sinnlos, wenn wir nicht in die richtige Strömung geraten.«
»Dann wird alles sinnlos. Wenn zwischen uns und den Ximbús ein Katarakt liegt – wer weiß das –, hilft sowieso nur Beten. Ob dann unser schöner Buschaufbau hält, ist fraglich. Ich sage Ihnen ja, wir schliddern in ein Abenteuer mit tausend Unbekannten.« Serra legte sich zurück. Wie immer, wenn er satt war, überfiel ihn schläfrige Trägheit. Heute konnte er sie sich leisten … das Floß war fertig. »Nein, mein Lieber, wir schwimmen am frühen Morgen los. Bis dahin haben wir Xinxaré und seine Leute mit Schnaps narkotisiert.« Er gähnte, schob die Hände unter den Nacken, deckte ein Taschentuch über sein Gesicht und schlief sofort ein.
Während er laut schnarchte und die Yincas mit dem Bau des zweiten Floßes begannen, saß Peters im Schatten der Bäume und dachte an Gloria.
Lebte sie wirklich noch?
Es war ein häßlicher Gedanke. Er verscheuchte ihn, dachte an die kurze Zeit ihrer aufkeimenden Liebe, an die ersten Küsse und an Glorias schönen
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