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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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vielleicht ihren Jungen hätte holen können, um ihn dort aufzuziehen. Sie hatte Geld. Sie war intelligent. Sie war kultiviert. Sie schlief, wie ich hörte, auch mit Frauen. Sie betrank sich in aller Öffentlichkeit. Sie wurde zwei Mal ausgeraubt. Von Männern, die sie kannte, Männern, die in ihrem Haus zu Gast gewesen waren.
    Ich bin zu ihr gefahren. Mehrmals. Nicht, um sie zurückzuholen, das wollte ich gar nicht. Ich habe sie nur gebeten, es sein zu lassen. Es einfach sein zu lassen. Sie hat mir ins Gesicht gelacht. Sie hat ihren Wein nach mir geworfen. Sie hat mir gesagt, dass ich sie anekele.«
    Er nahm ihre Hand und küsste sie. »Musst du auch noch den Rest erfahren?«
    Das Mondlicht war so blass und kalt, dass sie eine Gänsehaut bekam. »Ja, ich muss es wissen.«
    Â»Sie wurde krank. Schwindsucht, so nannte man das damals. Tuberkulose, nehme ich an. Ich habe Ärzte zu ihr geschickt. Ich wollte sie nicht besuchen. Sie war immer noch so jung. Sie hat Tuberkulose, sagten sie, sie hat Syphilis, sie ist davon wahnsinnig geworden, und kein Mann und keine Frau wollten sich ihr mehr nähern. Ihr Name war Gesprächsthema, wie man so sagt, in den Straßen von Chicago, und niemand kam, um sich um sie zu kümmern, nach all diesen Abendessen, zu denen sie eingeladen hatte, nach all diesen Männern, denen sie einen Augenblick der Lust geschenkt hatte, und nach dem Geld, dem endlos vielen Geld, um die besondere Zuneigung der Gräfin Emilia zu demonstrieren. Sie sprach noch immer kaum Englisch. Die Ärzte konnten nichts für sie tun. Sie lebte allein, und es gab niemanden, der für sie kochte oder sauber machte, und sie hatte nie gelernt, auch nur die einfachsten Dinge für sich selbst zu erledigen.
    Ich bin noch einmal hingefahren. Ich habe Antonio mitgenommen, damit er sie besuchen könnte, aber es war einfach zu schrecklich. Er hat sie gesehen, wie sie schon völlig heruntergekommen war, und dann habe ich ihn in der Kutsche warten lassen. Es gab da ein Zimmer … es gab da ein Zimmer in ihrem Haus, in das sie alles, was schmutzig war, hineingeworfen hatte, ihre Kleider, ihre Unterwäsche und ihre teuren Petticoats, zusammen mit Tellern, von denen sie einmal gegessen und die sie anschließend nicht abgewaschen hatte. Bestickte Tischdecken, die sie einmal benutzt hatte, Hüte, die sie gekauft und nie getragen hatte. Es reichte einem bis zur Hüfte. Schmuck, den sie nicht mehr tragen wollte. Stapelweise Briefe von Antonio, der ihr geschrieben und sie angefleht hatte, zu kommen und ihn zu retten. Einige der Briefe waren nicht einmal geöffnet. Die Vorhänge waren zugezogen, man musste durch dieses Chaos waten und sich fragen, was man davon retten sollte, was davon noch zu retten war, irgendein Gegenstand, den man dem Jungen als Zeichen dafür, dass wenigstens seine Mutter ihn liebte, hätte mitbringen können. Gott ist mein Zeuge dafür, dass ich es nicht konnte. Sie hat ihr Leben weggeschmissen, es in dieses stinkende, dunkle Zimmer im zweiten Stock ihres eleganten Stadthauses, für das ich bezahlte, hineingestopft.
    Sie lag in ihrem Bett und war kaum bei Bewusstsein. Wahrscheinlich unter Drogen. Wahrscheinlich verrückt. Sie war immer noch schön. Sie hatte etwas Edles, selbst in ihrem Wahnsinn war sie noch eine Schönheit, die mir den Atem raubte. Sie brauchte Sonne. Sie brauchte Sonne und eine lange Genesungszeit, im Westen, in Europa. Sie hätte vielleicht überlebt, jedenfalls für eine Weile.
    Sie hat mit mir gesprochen. Sie hat mir erklärt, was für ein Idiot ich sei, ein Idiot, Lügner und Hahnrei. Sie sagte mir, dass ich schwach und dumm sei und dass sie mich vom ersten Moment, in dem ihr Blick auf mich gefallen war, betrogen und benutzt hätte und dass sie froh darüber sei. Ich wusste es natürlich. Ich hatte es schon seit langem gewusst.
    Ich habe sie sich selbst überlassen. Ich habe sie zum Sterben sich selbst überlassen. Keine Heilmittel, keine Kur. Keine Ärzte mehr. Kein Geld mehr. Sie wurde aus ihrem Haus geworfen, ihr Besitz wurde auf der Straße versteigert. Drei Monate später starb sie in einem Armenhospital, ihre Handgelenke waren ans Bett gefesselt, sie war blind geworden, die Haare waren ihr ausgefallen, sie war nur noch ein Mitleid erregendes Monster, das niemanden hatte, der ihm die Hand hielt, keinen Priester, der ein letztes Gebet für sie sprach, keine Erlösung, keine

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