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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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sich nicht, beobachtete nur den bohrenden und ungerührten Blick seiner Mutter.
    Sie drehte die Nadel hin und her. Er konnte fühlen, wie sie am Knochen entlangschabte. Ein Schmerz wie von lauter Brennnesseln fuhr ihm in den Blutkreislauf und durch jede Vene seines Körpers bis in sein Herz.
    Ihre Stimme klang geduldig, liebevoll und traurig, ohne Zorn. »So ist es in der Hölle, mein Sohn. Aber so ist es die ganze Zeit. Für immer .«
    Und ohne auch nur für einen Moment den Blick von ihm abzuwenden, zog sie die Nadel wieder aus seiner Hand und wischte sie an der Schürze ab, die sie immer trug, nur zur Kirche nicht. Ruhig fing sie wieder an zu nähen. Er weinte nicht, und sie sprachen niemals wieder darüber. Er erzählte es nie seinem Vater, seinem Bruder oder sonst irgendjemandem. Und niemals, nicht einen Augenblick lang, vergaß er oder vergab er ihr, was sie getan hatte.
    Â»Der Schmerz der Hölle vergeht nie. Er hört nicht eine Sekunde auf zu brennen. Er hört nie auf.«
    Er vergaß es niemals, weil er wusste, dass sie Recht hatte. Was auch immer mit seinem Glauben nach jenem Abend passiert oder nicht passiert war, was auch immer geschah, während sich seine Hand entzündete und anschwoll, bis gelber Eiter aus der Wunde tropfte und sie dann wieder besser wurde, was auch immer geschah, während sich die Narbe von einem tiefen Rot zu einem winzigen kleinen Punkt verkrustete, den nur er sehen konnte, er wusste, dass sie Recht hatte. Und von diesem Augenblick an konnte er keinen Atemzug mehr tun, nicht für einen einzigen Moment, ohne sie zu hassen.
    Später, Jahre später, als er das Haus verließ, um aufs College zu gehen, sagte sie zu ihm: »Du bist schon bei der Geburt böse gewesen, so böse, dass ich dich das ganze erste Jahr nicht in den Arm nehmen konnte. Und aus dir wird ein böser Erwachsener werden. Du bist böse geboren. Und wirst böse sterben.« Damit drehte sie sich um und schlug die Tür zu und ließ ihn mit seinem neuen Lederkoffer allein auf der Veranda stehen, und er fragte sich, woher sie das wusste, denn er wusste, dass sie Recht hatte.
    Auf der Straße sah er Frauen, und sie waren nicht wie seine Mutter. Ihre anmutigen Hälse ragten aus den hohen Krägen ihrer Kleider wie Fontänen aus Sahne. Ihre Röcke rochen nach Bügeleisen und Talg. Wenn er mit seinem Vater in die Stadt ging, nahmen sie manchmal seine Hand oder berührten sein Kinn, und dann fuhr ein Stromschlag durch ihn hindurch, genauso und doch ganz anders als der Schmerz durch die Nadel seiner Mutter. In diesem anderen Schmerz lag etwas Genüssliches, und obwohl er erst sieben oder acht Jahre alt war, fühlte er sich plötzlich matt und heiß und hilflos vor jeder Frau, und er wusste nicht, woher dieses Gefühl kam, und er wusste auch nicht, was er damit anfangen konnte. Aber er wusste, dass es alles war, was er wollte.
    Die jungen Mädchen, die er kannte und mit denen er gelegentlich sprechen durfte, waren anders als diese Frauen. Einmal berührte er mit seinen Fingern die Finger der Tochter eines Nachbarn, die älter war als er, und plötzlich spürte er ein Kribbeln in seinen Lenden und zog schnell die Hand wieder weg. Die Haut dieser jungen Mädchen, der Mädchen in seinem Alter, war wie Milch, nicht wie Sahne, und sie rochen nach Blumen, ohne den metallischen Nachgeschmack, der der Süße eine Schärfe verlieh, die dafür sorgte, dass diese Süße sich ihm ins Herz brannte. Nachts im Bett küsste er die Haut auf seinem eigenen Unterarm und stellte sich dabei vor, eine der Frauen zu küssen, die sein Vater kannte.
    In seinen Träumen, so wie jetzt in seinem Fieber, kamen die Frauen zu ihm und hielten ihn in ihren Armen. Er war nie getrennt von ihnen. Wenn er in der Kirche saß oder mit den anderen Jungen über den Schulhof rannte, wusste er in jedem Augenblick, wo sie standen und ob sie ihn beobachteten oder nicht.
    Er sprach niemals davon. Er sprach nie darüber mit seinem Bruder oder mit seinem Vater. Er wusste, dass sie es wussten. Er wusste, dass sein Vater und sein Bruder, wenn seine Mutter die langen Passagen aus der Bibel vorlas, die sie jeden Abend und jeden Morgen durchlitten, genauso gut wie er wussten, worum es sich in diesen Geschichten in Wirklichkeit drehte.
    Sie handelten davon, dass die Welt schon mit dem Hunger eines Mannes nach einer Frau begonnen hatte, dass das Gift der Schlange

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