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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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Sie sahen seinen Körper. Sie kamen und gingen leise, weit entfernt, aber sie gingen nie gemeinsam weg. Immer war eine Frau an seiner Seite, die Hand einer Frau auf seinem Fleisch.
    Er hatte nicht daran gedacht. Falsch. Er hatte niemals nicht daran gedacht, nicht eine Minute in all den Jahren, aber die Wucht und Intensität seiner Gedanken hatte zugleich jede Möglichkeit aus seiner Vorstellung verbannt, dass das jemals real werden könnte: diese Berührung und dieses weit entfernte Zischeln der weiblichen Stimmen. Sie waren real, die eine war ihm bekannt, die andere unbekannt, und sie waren in jedem Augenblick da. Im Dunkeln. Im trüben Tageslicht. In jedem Augenblick.
    Mrs. Larsen betete für ihn. Die andere tat es nicht.
    Ihre Finger berührten ihn. Ihre Finger strichen ihm die Haare aus den Augen, fassten ihn an der Hüfte, wenn er in das Taschentuch hustete, das sie ihm sanft an den Mund gepresst hielten. Sie hörten sein Stöhnen.
    Sie hielten ihm Eispackungen an den Kopf, an den Nacken. Sie wickelten seine langen Beine fest in schwere Wolldecken, wickelten seinen ganzen Körper ein, bis er keinen Muskel mehr bewegen konnte.
    So lange war er schon in diesem Haus, und in seinem Fieber waren so viele Leben um ihn herum. Seine Mutter und sein Vater. Sein Bruder. Seine Frau – obwohl sie das Haus so sehr gehasst hatte, dass nicht einmal ihr Geist es heimsuchen wollte. Seine Kinder, die in einer Leere verschwunden waren, die tiefer als der Schneesturm reichte.
    Es war ein dunkles Haus gewesen, als er ein Kind war, als sein verstorbener Bruder und er auf dem Dachboden gespielt hatten. Er war zwölf Jahre alt, als er schließlich begriff, dass sein Vater reich war, sechzehn, als er den unermesslichen Umfang dieses Reichtums erkannte und wie weit er sich erstreckte, wie viele Leben das Geld seines Vaters fest im Griff hatte.
    Dennoch lebten sie weiter auf der Farm, mit der sie begonnen hatten, tauschten nie irgendetwas für einen luxuriöseren Gegenstand ein, ließen das Haus nicht streichen, pflanzten keine Rosen. Sie lebten wie arme Leute. Es war eine Einwanderergegend, und sie lebten wie Einwanderer.
    Im Haus wurde dieser Reichtum weder erwähnt noch demonstriert. Es gab nur Gott, den strengen und schrecklichen Gott, von dem seine Mutter Tag und Nacht sprach. Den Gott, der verbrannte. Den Gott, der beschuldigte. Den Gott, der den völlig in Bann geschlagenen Geist seiner Mutter auch noch in Beschlag nahm, wenn sie neben ihrem Ehemann schlief, den sie für nichts Besseres als einen Dämon hielt, der nur an Sex dachte, daran, sie zu berühren, in sie einzudringen und sich dort herumzuwälzen wie ein Boot im flachen Wasser, der nur an Geld dachte und wie er noch mehr und immer noch mehr davon verdienen konnte.
    Sie gingen in die Andachten, eine am Morgen, eine am Abend. In verschiedene Kirchen an verschiedenen Sonntagen. Die Gottesdienste dauerten stundenlang. Sein Vater döste. Seine Mutter brannte wie Feuer. Sie sagte, die Seele ihres Mannes sei verloren.
    Sie beteten beim Frühstück und bei jeder weiteren Mahlzeit. Sie beteten zusätzlich bei allen möglichen Anlässen, wenn die Kinder leichtsinnig oder frech oder hochmütig gewesen waren, beteten, als läge die Hölle gleich nebenan und nicht weit unten in den Tiefen der Erde.
    Sein Vater war nicht gläubig. Sein Vater zwinkerte. Er war verdammt, auch wenn er das nicht zu wissen oder es ihm zumindest nichts auszumachen schien. Seine Mutter bearbeitete ihn in aller Öffentlichkeit, und heimlich bearbeitete sie ihn noch viel stärker, in der Gewissheit, dass er von seinem ersten Atemzug an schon verloren war.
    Eines Tages saß seine Mutter nähend am Küchentisch. »Wie ist es in der Hölle?«, fragte Ralph sie, und sie hielt inne und sagte zu ihm: »Streck deine Hand aus«, und das tat er. Er konnte die Hitze vom Küchenherd her spüren, er konnte die tiefen Kratzer im Küchentisch sehen, von dem seine Mutter Tag für Tag jegliche Spur menschlichen Hungers abschrubbte. Seine Hand zitterte nicht, und sein Vertrauen war grenzenlos. Er war sechs Jahre alt.
    Â»Wie es in der Hölle ist?« Die Hand seiner Mutter schoss durch die stickige Küchenluft, während ihr der Sohn in ihre stechenden Augen blickte. Sie stieß die Nadel tief in das weiche Fleisch seiner Hand, am Ansatz seines Daumens, und der Schmerz drang ihm durch den Arm und ins Gehirn, aber er rührte

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