Eine verlaessliche Frau
damit und starrte auf das verschlossene Weià des geheimen Gartens, stellte sich vor, wie er nach Rosen und Lilien duftete, im Sonnenlicht des August auflebte. Es war ein Ort für das heimliche Geflüster von Liebenden. Er war in der Welt, aber gleichzeitig auch vor ihr verborgen, wie das Herz.
Es war so, wie er gesagt hatte. Alles war immer noch da. In Francescas Zimmer öffnete sie den Schrank und starrte auf die winzigen Kleider. Sie berührte eins und fühlte zwischen den Händen die raschelnde Seide.
»Ihre Mutter lieà für jedes Kleid, das sie für sich selbst anfertigen lieÃ, auch eines für ihr Kind nähen. Sie lieà sogar für die Puppen noch Kopien davon schneidern. Jetzt wirken sie altmodisch, aber man sieht es immer noch. Trotzdem war es töricht.« Mrs. Larsen war empört über diese Dummheit. »Schauen Sie sich das doch mal an. Sind die etwas für ein Kind? Ein Kind, das sich nicht selbst anziehen konnte, ein Kind, das sich nicht selbst spürte, das nichts anderes tun konnte, als mit diesem kleinen Lächeln auf dem Gesicht zu gucken? Schauen Sie sich das doch mal an.«
Vom Kleiderständer nahm sie ein weiÃes Leinenunterhemd, so schlicht und anmutig. Auf die Vorderseite des Kleidungsstücks waren Worte gestickt, Worte in einer fremden Sprache.
»Sie konnte nicht einmal selbst beten. Also lieà ihre Mutter das hier machen, italienische Gebete, die vorne draufgestickt waren. âºDann schläft sie mit Gott.â¹ Genau das waren ihre Worte. Franny war für ihre Mutter wie eine Puppe, eine geistlose Puppe. Aber sie hatte ein Herz. Sie liebte ihr Schaukelpferd, sie liebte es, wenn man sie im Arm hielt, sie liebte es, eine Männerstimme singen zu hören. Das, was Gott einem Baby an Verstand schenkt, das hatte sie verloren. Aber sie war doch eine Person. Eine vollständige Person. Es brach ihm das Herz, als sie starb. Es brach ihm das Herz, als sie noch lebte. Als wäre es sein Fehler gewesen.«
»Es war nicht sein Fehler. Ganz sicher nicht.«
»Es war diese Frau. Wennâs nach mir ginge, würde ich jedes einzelne Kleid hier rausschmeiÃen. Ein Feuer machen. Es ist traurig, aber das Kind ist tot. Sie sind alle tot.«
»Nicht der Sohn. Sagt er. Sagt Truitt.«
»Wenn Sie mich fragen, dann ist er auch tot. Antonio. Tot oder unnütz wie seine Mutter. Diese ganzen Nachforschungen werden Truitt auch nicht weiterbringen.«
Catherine erzählte Truitt nicht, dass sie zu dem Haus spazierte. Sie erzählte Truitt nicht, dass sie die Perlen seiner Frau trug, sich Diamantreifen ins Haar steckte. Sie erzählte ihm nicht, dass sie die altmodischen Kleider anprobierte, obwohl sie ihr zu klein waren, mit dem süÃen Geraschel von Seidenrüschen über die Teppiche auf dem Boden rauschte. Sie erzählte ihm nicht, dass sie lange Nachmittage in der Bibliothek verbrachte und Liebesromane und Theaterstücke und Gedichte las. Sie nahm an, dass Mrs. Larsen ihr Geheimnis wahrte, denn das Leben ging weiter wie bisher. Weil sie Truitt Glück wünschte.
Sie aÃen zu Abend. Er las ihr aus der Zeitung die Berichte über den Wahnsinn und die wahren Verbrechen vor, die von Leuten begangen wurden, die er kannte. Sie las ihm seinen geliebten Walt Whitman vor, anscheinend das Einzige, was er las. Sie las ihm Whitmans ausuferndes, pulsierendes, hoffnungsvolles und verzweifeltes Panorama von Amerika vor, die ungeteilte Leidenschaft für jedes Lebewesen.
»Sei nicht mutlos«, las sie, »Zuneigung soll die Aufgaben der Freiheit lösen,/Jene, die einander lieben, werden unbesiegbar sein.«
Sie liebte Truitt nicht, und jede Nacht wurde das blaue Fläschchen aus ihrem Koffer geholt, Zorn durchströmte sie, während sie es in der Hand hielt. Das blaue Fläschchen bestärkte sie, es war ihr schlichter, ihr einziger Plan. Das Haus würde ihr gehören. Der Perlen, die Bücher und Gemälde, die teuren Teppiche aus Indien und aus dem Fernen Osten, und auch Truitt würde ihr gehören. Aber es würde keine Zuneigung geben, sie würden nicht gemeinsam auf ein schönes, geruhsames Alter zuschlendern. Ein Tropfen. Zwei Tropfen. Das war die Zukunft.
Heimlich durchstreifte sie die Zimmer, spazierte durch den geheimen Garten, bis zu den Knien im Schnee, und die Verwehungen in den Ecken reichten ihr bis über den Kopf, während Mrs. Larsen die Kupfertöpfe reinigte und den Staub aus
Weitere Kostenlose Bücher