Eine verlaessliche Frau
dass sie irgendwie ihren Halt verlor, ihre Marschrichtung in dem dunklen Zimmer unter seinen heiÃen Händen. Sie durfte nicht vergessen. Sie kämpfte gegen das Vergessen. Sie kämpfte gegen die Sehnsucht, seine Hand zu nehmen und sie zu küssen, sein Fleisch mit ihrer Zunge zu liebkosen.
Sie schliefen jede Nacht miteinander. Sie holte nicht länger ihr blaues Fläschchen aus dem Koffer, um es in der Hand zu halten und zuzusehen, wie die dünne Flüssigkeit durch das Kobaltblau schimmerte. Sie vergaà es nicht, sie verschob es nur.
Die Tage schienen endlos, die Abendessen eine Qual aus gutem Benehmen und unterdrücktem Appetit. Mrs. Larsen sah ihnen nicht in die Augen. Nach dem Abendessen gingen sie nach oben, und sie kam nackt aus ihrem Zimmer zu ihm und legte sich neben ihn in das Bett seines Vaters. Jede Nacht erzeugten sie aus nichts als den Zwängen des Fleisches Bewegung und Begehren. Er nahm ihren Mund und küsste sie manchmal so heftig, dass sie nicht mehr wusste, wie sie hieÃ. Manchmal küsste er sie bloà und wandte dann den Kopf ab und schlief an ihrer Schulter ein.
Er sprach mit ihr nicht mehr über seine Kümmernisse. Er sprach überhaupt kaum, als wären ihre Körper alles, was sie an Konversation brauchten. Sie versuchte, ihm die Geschichte ihrer Kindheit zu erzählen, die sie sich sorgfältig ausgedacht hatte. Sie versuchte, den Schrecken ihres Missbrauchs zu beschreiben, die Details des Missionarslebens auf anderen Kontinenten. Er war verständnisvoll, aber er brachte sie zum Schweigen, indem er ihr sanft die Hand auf den Mund legte.
Er wollte ein Kind. Er sehnte sich nach Enkelkindern, die er auf seinem Knie schaukeln konnte.
Stück für Stück, durch fast unmerkliche Kunstgriffe, wurde sie kundiger und geschickter darin, zu spüren, was ihm gefiel. Manchmal fragte sie sich in der Nacht, wenn Ralph schlief und sie an die Decke starrte, ob sie nicht schon erlangt hatte, was sie sich unbedingt aneignen wollte. Die Liebe und den Reichtum eines Mannes, der sie nicht verletzen würde. Eines Mannes, den sie keineswegs lächerlich zu finden vermochte.
Er liebte sie ganz offensichtlich. Oder er war, falls er sie nicht liebte, völlig vernarrt in sie. Er gewährte ihr alles, was sie wollte. Sie hatte das Gefühl zu schwanken, als ob sich eine neue Landschaft vor ihr auftat, als wäre sie zu erschöpft von den leidenschaftlichen Nächten, um ihre Gedanken auf einen bestimmten Punkt zu lenken. Das blaue Fläschchen lag in ihrem Koffer, und manchmal zwang sie sich zu vergessen, dass es überhaupt da war.
Sie fuhr in die Stadt. Sie war sehr gewöhnlich, eine schlammige StraÃe, eine kurze Wegstrecke mit Läden voller Kurzwaren und Haushaltswaren und mit Metzgern und Friseuren. Das Fleisch in den schmutzigen Schaufenstern sah traurig und trocken aus. Die Leute nickten ihr neugierig und mit kaum verhohlener Verachtung zu. Sie trug ihr Haar nun anmutiger um ihr Gesicht frisiert. Sie lernte die Swensons, die Carllsons und die Magnussons kennen. Sie suchte nach dem Wahnsinn, von dem sie in der Zeitung gelesen hatte. Sie fand ihn nicht. Sie suchte nach Schönheit und fand wenig, das sie interessierte, auÃer in den unberührten Gesichtern der Kinder. Sie suchte nach ausgesuchten Vergnügungen, aber es schien überhaupt nur wenige Vergnügungen zu geben. Dennoch langweilte sie sich nicht. Sie war nicht unruhig. Jeden Tag wartete sie darauf, dass die Zeit verging. Sie wartete darauf, dass Ralph nach Hause kam.
Sie war wie betäubt davon, wie er ohne Kleidung aussah. Sie war hingerissen von der Art, wie er unaufhörlich ihre Wange berührte, während sie miteinander schliefen, dass er sie so streichelte, wie er vielleicht ein wildes Pferd besänftigte.
Sie vergaÃen ihre Gespräche. Sie spielte für ihn Klavier, die Stücke, die er mochte, die Stücke, die ihn nie ermüdeten. Sie las ihm Whitman vor, das elektrische, verwundete, fruchtbare Land erstreckte sich vor ihnen, die Dehnbarkeit der Begierde. Alles war ein Vorspiel für das, was im Dunkel geschah, im Kerzenlicht, im Bett von Ralphs Vater.
Am Silvestertag bestieg sie in ihrem grauen Hochzeitskleid und mit ihrer dunklen Brille wieder den Zug. Das blaue Fläschchen war immer noch in ihrem Koffer. Es wartete dort wie eine Schlange. Die Schneeverwehungen ragten so hoch wie die Schultern eines starken Mannes. Ralph Truitt starrte sie durchs
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