Eine verlaessliche Frau
schlief im selben Bett wie Alice. Morgens war sie immer da, um sie mit einem Kuss aufzuwecken. Sie waren seit ihren Tagen in Baltimore nicht einen Schritt weitergekommen, aber Alice ging in eine anständige Schule, in eine gemeinnützige katholische Schule mit strengen Regeln und schmutzigen Fenstern. Alice hasste sie, aber Catherine half ihr jeden Abend, bevor sie ausging, mit den Schularbeiten, und so begann auch Catherine, kleine Brocken über Kleinigkeiten zu lernen.
Alice zog richtige Sachen an, die Catherine für sie nähte. Im Winter hatte sie einen warmen Mantel, und Catherine ging zum Markt und wanderte zwischen den Stoffballen herum und fasste jeden an. Sie nähte, und sie entdeckte die groÃe Bibliothek. Sie erinnerte sich daran, dass ihre Mutter ihr erzählt hatte, dass die Bibliothek alles enthielt, was sie je wissen müsste, über Geschichte, Kunst und Wissenschaft.
Zuerst machte sie ihr Angst. Bei ihren anfänglichen Besuchen konnte sie nur starren, wusste nicht, wonach sie fragen sollte oder wen. SchlieÃlich bat sie um ein Buch, ein Buch übers Nähen, und sie las es, saà an den langen Tischen und machte sich Notizen mit einem Bleistift, den sie an einem der Marktstände gestohlen hatte.
Das Lernen gefiel ihr. Sie liebte den Geruch der Bücher in den Regalen, das Druckbild auf den Seiten, das Gefühl, dass die Welt ein unendlicher, aber dem Wissen zugänglicher Ort war. Jedes Faktum, das sie lernte, schien eine neue Frage nach sich zu ziehen, und für jede Frage gab es ein anderes Buch. Sie lernte, den Katalog zu benutzen. Sie lernte nie mehr, als sie wissen musste.
Sie las Liebesromane, und sie stellte sich vor, die Männer und Frauen an den Lesetischen um sie herum seien die Figuren in diesen Büchern. Führten ein glückliches und leidenschaftliches Leben, was für andere, wie es schien, so einfach war. Sie las Jane Austen, Thackeray, Dickens. Bücher, in denen sich das Leben der zerlumpten Armen am Ende in ein glückliches verwandelte.
Sie las über die Hauptstädte der Welt, über die Kathedralen und Minarette, über breite Avenuen und die unbeständige und stetig expandierende Welt der Wissenschaften.
Als sie achtzehn war, wurde sie die Geliebte eines verheirateten Mannes. Sie war erwachsen. Alice war immer noch ein Kind. Sie wohnte in der Nähe vom Rittenhouse Square, in richtigen Zimmern an einer richtigen StraÃe. Dies waren die Zimmer, von denen sie in den Hotels geträumt hatte. Sie erlernte die Kunst, einen Mann zu erfreuen, ohne mit ihm Sex zu haben, saà auf seinem SchoÃ, plauderte mit ihm, schnitt ihm die Zigarre an. Sie begriff, dass sie intelligent war. Aus der Bibliothek kannte sie viele Themen, über die sie leicht und charmant reden konnte. Die Männer genossen diese Dinge. Sie war wie die Geishas, über die sie in der Bibliothek gelesen hatte, wie die Kurtisanen, die Geliebten der Mächtigen. Sie kleidete sich wunderschön, in Seidenkleider, die sie sich selbst nach Musterbüchern nähte, in Kleider aus Paris, die er für sie kaufte, aus Kartons von den schicken Läden an der Broad Street, die mit Seidenbändern verknotet waren. Sie unterhielt seine Freunde, wenn er sie zum Kartenspielen einlud, erzählte ihnen lustige Geschichten, goss ihnen Wein ein, lachte über ihre derben Witze.
Sie war erstaunt darüber, wie einfach das war. Er kam sonntagnachmittags, und er brachte immer ein kleines Geschenk mit, ein Zeichen seiner Dankbarkeit, dass so ein wundervolles junges Mädchen ihm gestattete, es zu berühren, ihre Brüste anzufassen. Dann fuhr er nach Hause zu seiner Frau und seinen eigenen Kindern, in andere Räume, die sie nie zu sehen bekommen sollte.
Alice hatte keine Geduld oder Fähigkeit zum Lernen. Sie war ein bitteres Kind, bitter und aufsässig und selbstsüchtig, und es gab überhaupt keinen Grund dafür. Für sie wurde alles getan. Catherine hatte sehr viel Zeit, und sie brachte Stunden damit zu, gemeinsam mit Alice deren Schulaufgaben zu erledigen. Alice war nur Gefühl, ein Dasein ohne Vernunft oder Intellekt. SchlieÃlich weigerte sie sich, überhaupt noch zur Schule zu gehen. Sie liebte hübsche Kleider und liebte es, in der Ãffentlichkeit in den prachtvollen Kleidern spazieren zu gehen, die Catherines Beschützer ihnen gekauft hatten, und sie liebte ihn, den soliden, rotgesichtigen Onkel Skip, wie sie ihn nannte. Nach einem
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