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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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Jahr erwischte Catherine sie im Bett zusammen. Alice war zwölf.
    Es war kein Schock. Es überraschte sie nicht, dass Onkel Skip, der zwei Frauen gekauft hatte, auch zwei Frauen genießen wollte, aber ihre Wut war unbezähmbar. Sie stahl und verkaufte alles, was sie nur konnte, aus ihren schönen Zimmern, und Catherine und Alice nahmen ein zweites Mal den Zug und fuhren nach New York.
    Es war eine neue Stadt, riesig und voller Möglichkeiten, eine leere Leinwand. Aber es war dieselbe Geschichte. Catherine nähte und hurte herum und verbrachte ihre Tage in der Bibliothek. Alice sah wie eine kleine Prinzessin aus und sehnte sich nach der Freiheit. Sie genoss es, die Männer dazu zu bringen, sich nach ihr umzudrehen und sich dann mit einem verächtlichen Lachen abzuwenden.
    Alice sagte zu Catherine, dass sie sie hasse. Sie sagte, sie habe ihr ganzes Leben in einem Gefängnis verbracht. Catherine war nicht überrascht. Alice sagte, dass sie, sobald sie wüsste, wohin, Catherine verlassen und nie zurückschauen würde. Catherine war zweiundzwanzig, und sie hatte das Gefühl, als sei sie schon seit hundert Jahren auf diesem Planeten.
    Dann war Alice fort. Catherine entdeckte sie im Gramercy Park, wie sie einen kleinen weißen Hund ausführte, ein fünfzehnjähriges Mädchen am Arm eines vierzigjährigen Mannes, und Catherine gab auf. Es gab nichts mehr, was sie tun konnte.
    Jetzt war Alice genau das geworden, vor dem Catherine sie hatte bewahren wollen. Sie war Catherine geworden, nur schlimmer, denn für Alice gab es keinen Grund. Es war nicht etwas, das sie tun musste, es war das, was sie tun wollte. Die leere Aufmerksamkeit von dummen, einsamen Männern. Es war nicht auszuhalten.
    Catherine verließ New York und fuhr nach Chicago, wo sie Jahre verbrachte, ohne ein einziges Wort über Alice zu verlieren.
    Dann las sie 1901 in den Zeitungen über die Weltausstellung, die in Saint Louis veranstaltet werden sollte, und beschloss, dorthin zu fahren, weil sie wusste, dass es dort eine Menge Männer geben würde, Arbeiter aus Italien und Deutschland, die ihre Familien zurückgelassen hatten und nach Saint Louis gekommen waren, um Geld zu verdienen. In ihrem Herzen hatte sie nicht ein Gran Güte mehr übrig.
    Und dann sah sie eines Tages Alice.
    Sie näherte sich ihr vorsichtig.
    Â»Alice. Schwester.«
    Alice drehte sich um. Der Schock des Wiedersehens verwandelte sich augenblicklich in Bitterkeit.
    Â»Was machst du …?«
    Â»Das Gleiche wie du. Die Ausstellung. Die Männer. Das Geld.« Alice lachte.
    Â»Was ist aus New York geworden? Aus Gramercy Park?«
    Â»Der Hund ist gestorben. William hat mich geschlagen. Ich bin hierhergekommen. Ist schon lange her, ich weiß nicht mehr, wie lange. Der Goldene Westen.«
    Â»Ich …«
    Dann hatte ihr Alice ins Gesicht geschlagen. Hatte auf ihrer Wange einen Striemen hinterlassen und war lachend die Straße entlanggerannt.
    Catherine sah sie niemals wieder, hatte nicht versucht, sie zu finden. Jetzt brannte es in ihr wie Feuer. Sie hatte Geld. Sie hatte einen Ort, wo sie Alice hinbringen konnte. Sie wollte ihre Schwester retten. Es war nicht Güte. Es war die verzweifelte, harte, unbezwingbare Notwendigkeit, etwas Ordnung in das Chaos ihrer Vergangenheit zu bringen. Alice könnte im weißen Wisconsin vielleicht etwas Frieden finden. Der blendend reine Schnee könnte vielleicht ihre Bitterkeit, ihre Grausamkeit und ihre seelische Verhärtung abwaschen.
    Wild Cat Chute war ein schlimmer Ort. Es war der Ort, an den man ging, wenn man keinen anderen Ort mehr hatte, wo sie einen reinließen. Er quoll über von Ratten und Müll und Krankheiten und Kranken. Es war bloß ein Ort auf dem Weg zum Fluss, eine Rampe, die man einst benutzt hatte, um die Ladung in die Stadt zu schaffen, aber jetzt stand sie voller Hütten, war voller Leute, die nicht einmal Hütten hatten, Leute, die nicht mehr länger drinnen schlafen konnten. Leute, die Stimmen hörten. Leute, die starben.
    Doch als Catherine um die dunkle Ecke auf den Lehmpfad einbog, konnte sie bloß Kinder sehen. Sie waren sie selbst. Sie waren ihre Kindheit und ihre Vergangenheit und der Hunger und die Angst und der Verlust, und kein Mantel hätte sie vor dieser Kälte schützen können. Sie hatten keine Namen. Sie hatten kein Licht in ihren Gesichtern. Sie hatten niemanden, der auf sie wartete, und keinen Ort, wo sie

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