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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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umbrachte, so wie Emilia versucht hatte, ihn umzubringen. Aber Truitt wusste, dass es seine Jugend war, die Ausschweifungen seiner Jugend, die ihn bis zu diesem Punkt gebracht hatten.
    Luxe, calme et volupté, hatte der Dichter geschrieben, und Truitt hatte es so verstanden, dass es ein Leben endloser Ausschweifungen bedeutete, ein Leben, in dem Schönheit und Sinnenfreude alles waren, was zählte, ein Leben, in dem es keine Konsequenzen gab. Als Emilia ihn betrogen hatte, als Franny gestorben war, hatte er geschworen, dass die Tage der Ausschweifungen vorüber wären. Er hatte das Trinken aufgegeben. Er hatte ein Leben ohne Alkohol geführt. Aber er hatte seine Lektion nicht gelernt. Er liebte Catherine mit der Sinnenfreude der Jugend, er sehnte sich nach Antonio, wie er sich vielleicht nach einer Geliebten gesehnt hätte, und es brachte ihn um. Er hatte das Gift vergessen, hatte vergessen, dass ihm das angetan wurde. Er dachte, er hätte sich das selbst zugefügt, vor langer Zeit. Eine Krankheit, die er sich in seiner Jugend zugezogen hatte, die brandige sexuelle Infektion seiner Kindheit, von der wusste, dass sie tödlich war und dass sie nun, nach Jahren der Verleugnung, schließlich voller Rachedurst die Zähne fletschte.
    Er betrachtete mit einer seltsamen Zärtlichkeit sein Leben, den Teil von ihm, der noch am Leben und einst ein Ganzes gewesen war. Er neigte ihm seinen Kopf zu, wie man vielleicht einem Baby den Kopf zuneigt, voller Angst, es zu halten, solch eine makellose Schönheit in den Arm zu nehmen. Er hatte sich einst wie andere Männer bewegt und geredet, hatte sich in seiner Kleidung wohlgefühlt und Frauen in seinen Armen gehalten. Er war Vater geworden. Sein Kind war schwachsinnig gewesen. Er war Ehemann geworden. Seine Frau war bezaubernd und eine Schönheit gewesen und hatte sein Leben ruiniert. Er konnte sich nicht mehr an ihr Gesicht erinnern. Er hatte Antonio seit zwölf Jahren nicht mehr gesehen, seit er vierzehn Jahre alt geworden war. Wo waren sie hin? Wie würde sein Gesicht jetzt aussehen? Den ganzen Tag lang drehten sich seine Gedanken – wie eine Pflanze sich dem Licht zudreht – um Fragen, auf die es keine Antworten gab.
    Er zog bei Mrs. Larsen ein. Er zog in das Zimmer mit dem schmalen Eisenbett, dem Dachvorsprung und dem einen Giebelfenster, durch das man die Sterne sah, ein, das er als Junge bewohnt hatte. Im großen Haus hatte er Angst vor den Gespenstern. Er dachte, hier könnte er ihnen entkommen.
    Jeden Morgen wachte er auf, sehnte sich ängstlich nach seiner Frau und lief den ganzen langen Weg zurück zu Catherine, brachte ihr seine Tage dar, damit sie ihm geduldig die Dinge erklären konnte, die er vergessen hatte, damit sie ihm Suppe einflößen und ihn in warmem Wasser baden konnte, was ihm für fünf Minuten das Frösteln nahm. Er lief zu ihr zurück, damit sie ihm Morphium spritzen und Gift ins Essen, auf seine Haarbürste und auf seine Kleidung träufeln konnte, die er nicht länger an seinem Körper zu ertragen vermochte. In manchen klaren Momenten erinnerte er sich daran, wie es wirkte. Meistens hatte er vergessen, was es war, das ihm da angetan wurde. Er hatte ihr nie etwas vorzuwerfen.
    Wenn er nach dem Abendessen und dem Vorlesen am Kamin zu Mrs. Larsen zurückgekehrt war, nachdem man ihn in Umhänge und Reisedecken eingewickelt hatte und Mrs. Larsen ihn, nach einem hasserfüllten Blick, der ihr das Herz durchbohrte, langsam davonkutschiert hatte, spazierte Catherine durchs Dunkel, lief den langen Weg über die dunklen Felder und die Treppe zum alten Farmhaus hoch und saß, bis der Morgen kam, vor seiner Tür. Wenn er erwachte, hielt sie seine Hand, rieb ihm die Stirn mit einem weichen, warmen Lappen ab und sagte die Namen der Toten und der Lebenden, die seine Nächte bevölkerten, für ihn auf. Jeden Morgen wickelte sie ihn, bevor die Sonne aufging, in ihren Mantel ein und lief den langen Weg nach Hause zurück, um eine Stunde zu schlafen, bevor er ins große Haus kam und nicht wusste, wo er hinsollte, nicht wusste, in welchen Sessel er sich setzen sollte, und an manchen Morgen auch nicht mehr wusste, wer sie war.
    Schließlich war er so weit. Er wollte sterben. Aber sie brachte es immer noch nicht fertig. Und schließlich wusste sie, dass sie es einfach nicht tun konnte.
    Er saß in einem Sessel im Musikzimmer. Sie hatte ihm Watte in die Ohren gestopft, weil ihn

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