Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
an. Mendez kam ihm zuvor.
»Danke, Mrs Morgan«, sagte er. »Wir wollen Sie dann nicht länger stören.«
»Ich wollte sie fragen, wo sie Sonntagabend war«, sagte Hicks auf dem Weg zurück zum Auto.
»Lass sie in Ruhe.«
»Falls ihre Freundin mit ihrem Mann geschlafen hat, hatte sie ein Motiv, Marissa Fordham umzubringen. Ein ziemlich starkes sogar. Und hast du ihre Hände gesehen? Voller Schnitte.«
»Sie arbeitet an einer Metallskulptur.«
»Seit wann? Seit Montagmorgen?«
Mendez ließ den Motor an. »Suchen wir das Arschloch, mit dem sie verheiratet ist, und fragen ihn.«
34
Anne hatte sich für die Nacht etwas Bequemeres angezogen und setzte sich jetzt in ihrer grauen Jogginghose und dem weiten schwarzen Pullover zu Haley aufs Bett. Es würde sie nicht überraschen, wenn sie noch vor dem Kind einschliefe, dachte sie. Die Auseinandersetzung mit Maureen Upchurch und Milo Bordain hatte sie erschöpft, und das Wissen, dass die beiden Frauen nicht so schnell aufgeben würden, machte es nicht besser.
Bestimmt würde sich Maureen mit Milo Bordain verbünden, und sei es nur, um Anne das Leben schwerzumachen. Immerhin hatte Anne Richter Espinoza auf ihrer Seite. Sie versuchte, sich mit dem Gedanken an dessen Unbestechlichkeit zu trösten. Als überzeugtem Demokraten war es ihm sicher ein Vergnügen, die Pläne der Bordains bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu durchkreuzen.
Haley war in das Malbuch vertieft, das Franny ihr mitgebracht hatte. Fürs Erste wenigstens. Kurzen Energieschüben folgten jeweils lange Ruhepausen. Ihr kleiner Körper hatte viel durchgemacht, und auch wenn inzwischen feststand, dass sie keine bleibenden Schäden davongetragen hatte, würde es noch einige Zeit dauern, bis sie sich vollständig erholt hatte.
Sie hatte nicht mehr nach ihrer Mutter gefragt.
Vermutlich hatte sie jede Erinnerung an sie verdrängt – vorübergehend. Anne nahm an, dass sich die Schleusen irgendwann unweigerlich öffnen und die Gefühle sich Bahn brechen würden.
Es gab nur wenig Literatur über das Erinnerungsvermögen von Kindern in Zusammenhang mit traumatischen Ereignissen, auf die sie sich hätte stützen können. Funktionierte das Erinnern bei Kindern genauso wie bei Erwachsenen? Oder wurden die Erinnerungen von Kindern stärker durch emotionale Reaktionen beeinflusst oder verzerrt? Das konnte niemand sagen. Noch weniger Informationen fand man darüber, wie man diese Erinnerungen an die Oberfläche holen und dem Kind helfen konnte, damit fertigzuwerden.
Anne hatte ihren ehemaligen Professor angerufen, um sich Rat zu holen. Er hatte ihr empfohlen, sehr vorsichtig vorzugehen, keine Suggestivfragen zu stellen und ansonsten auf ihr Gefühl zu vertrauen.
»Ich bin sicher, dass wir zu diesem Thema auf sehr viel mehr Daten werden zurückgreifen können, wenn erst einmal dieser schreckliche Fall in Manhattan Beach abgeschlossen ist«, sagte er. »Im Augenblick kann ich Ihnen nur raten, sich auf Ihren Instinkt zu verlassen, Anne.«
Jeder, der mit Kinderpsychologie zu tun hatte oder sich für den Kinderschutz einsetzte, verfolgte gespannt die Fälle von sexuellem Missbrauch in Manhattan Beach, südlich von Los Angeles, wo den Angestellten einer privaten Kindertagesstätte furchtbare Verbrechen an den ihnen anvertrauten Kindern zur Last gelegt wurden. Dieser Fall erregte die Gemüter. Die ersten Anschuldigungen waren 1983 erhoben worden. Jetzt, drei Jahre später, waren die Ermittlungen noch immer nicht abgeschlossen. Gerüchte über die Vorgehensweise bei der Befragung der betroffenen Kinder riefen jedoch mehr als nur leichte Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Zeugenaussagen hervor – zumindest unter Psychologen.
Suggestivfragen konnten kleine Kinder schnell in eine falsche Richtung lenken und verwirren und machten ihre Aussage damit unbrauchbar – ganz zu schweigen davon, dass sie möglicherweise psychische Schäden bei den Kindern verursachten.
Vielleicht wusste sie darüber mehr, als ihr selbst klar war, dachte Anne. Trotzdem hatte sie das Gefühl, im Nebel zu stochern.
Haley hatte die Hühner auf einer Seite des Buchs alle rot ausgemalt. Hatte das mit dem vielen Blut zu tun, das sie an dem Abend, an dem sie und ihre Mutter überfallen worden waren, gesehen haben musste? Oder mochte sie die Farbe Rot einfach? Vielleicht hatte auch einer der Farmer in der Nachbarschaft rote Hühner?
»Warum sind die Hühner rot?«, fragte Anne.
Haley zuckte mit den Schultern und blätterte weiter zu einer Seite
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