Eine Versammlung von Krähen (German Edition)
Bett zu gehen. Ich hatte mich gerade hingelegt, als ich Ihr Klopfen hörte. Tut mir leid.«
»Schon gut.« Jean drehte sich um und verriegelte die Tür.
»Sie sagten, dass es draußen Ärger gibt? Was für Ärger?«
»Ich weiß es nicht. Leute kreischen und schreien. Schüsse fallen. Auf der anderen Seite der Stadt ist etwas explodiert. Ich glaube, es sind auch mehrere Feuer ausgebrochen.«
Axel keuchte. »Gott im Himmel …«
»Bobby, ich muss dich absetzen, mein Schatz. Mamis Arme brauchen eine Pause.«
Der Junge vergrub das Gesicht in ihrem Haar und umklammerte sie fester.
»Bobby …«
»Nein, Mami. Da draußen passieren schlimme Dinge.«
»Wir sind jetzt in Sicherheit. Mr. Perry wird nicht zulassen, dass uns etwas zustößt.«
»Deine Mutter hat recht«, pflichtete Axel bei, der rein gar nichts verstand, aber dem Jungen Zuversicht vermitteln wollte. »Was immer da draußen los ist, hier drin kann es dir nichts anhaben.«
Bobby lugte zwischen den Haaren seiner Mutter hervor und schaute den alten Mann zweifelnd an.
Grinsend reckte Axel den Spazierstock in die Höhe. »Wenn es reinkommt, hau ich ihm damit eins über die Rübe.«
»Das ist nur ein alter Stock.«
»Oh nein, das ist viel mehr als ein alter Stock. Weißt du, dieser Spazierstock ist magisch.«
»Stimmt gar nicht. Sie lügen!«
»Bobby, sei nicht so frech«, schimpfte Jean mit dem Jungen.
»Aber Mami, so was wie Magie gibt es nicht. Das ist nur Fantasie, wie in den Cartoons im Fernsehen oder bei Harry Potter.«
Axel zwinkerte dem Jungen zu. »Magie ist nicht bloß ein Märchen, Bobby. Was glaubst du, woher die Frau, die sich diese Harry-Potter-Bücher ausgedacht hat, ihre Ideen nahm? Ich behaupte, Magie gibt es schon so lange, wie es Menschen gibt, und das ist eine ganz schön lange Zeit.«
Axel verstummte. Er konnte nicht sicher sein, aber er glaubte, draußen jemanden schreien zu hören. Kurz überlegte er, ob er nachsehen sollte, entschied jedoch, dass das Beschützen von Jean und Bobby ab sofort Vorrang hatte.
»Und was kann er?«, fragte Bobby und zeigte auf den Spazierstock.
»Ich habe diesen Ast vor langer Zeit von einem verwunschenen Baum abgeschnitten, als ich kaum älter war, als du es jetzt bist. Wir haben weit unten in einer Senke auf der anderen Seite von Frankfort gewohnt. Du weißt schon, da, wo heute der Steinbruch ist. Am fernen Ende der Senke – die damals mehr ein Krater war – gab es eine Höhle. Mein Vater hat den Eingang irgendwann mit Geröll verfüllt, weil unsere Kühe ständig reinlaufen wollten. Aber neben dem Loch wuchs eine große, alte Weide, genauso knorrig und hässlich, wie ich es inzwischen bin. Der Name des Baums …«
»Bäume haben keinen Namen, Mr. Perry.«
Jean runzelte die Stirn. »Bobby, benimm dich!«
Der Junge schob die Unterlippe vor und schmollte. »Aber ich hab doch Mister zu ihm gesagt!«
»Schon gut«, beschwichtigte Axel. »Alles hat einen Namen, Bobby. Nicht nur Menschen, sondern auch Tiere, Bäume und sogar Steine. Gott gibt allem einen geheimen Namen. Diese alte Weide hieß Mrs. Chickbaum.«
»Das ist aber ein komischer Name.«
»Ja, da hast du wohl recht. Aber meine Mutter hat gesagt, dass er so lautet, und sie verstand etwas von diesen Dingen.«
»War Ihre Mutter eine Zauberin?«
Überrascht stellte Axel fest, dass ihm Tränen in die Augen traten, als er antwortete. »Ja, war sie. Meine Mami war magisch. Und Mrs. Chickbaum war es auch. Nicht so, wie du es dir wahrscheinlich vorstellen würdest. Der Baum konnte nicht fliegen oder Menschen in Salamander verwandeln. Aber man hat sich in seinem Schatten besser gefühlt. Man konnte sich unter seinen Ästen ausruhen, ohne Angst haben zu müssen. Links von Mrs. Chickbaums Stamm befand sich eine kleine Quelle, und das Wasser war das Beste, das ich je gekostet habe – klar, frisch und eiskalt.«
»Also hat Mrs. Chickbaum die Welt besser gemacht?«
»Genau. In ihrer Umgebung ereigneten sich keine schlimmen Dinge. Dieser Spazierstock stammt von Mrs. Chickbaum, und ich habe ihn seit jener Zeit. Und bisher brachte er mir immer nur Glück. Also denke ich, wir sind hier drin ziemlich sicher. Okay?«
Bobby lächelte und entspannte sich nach und nach. »Okay, Mr. Perry.«
Jean ließ ihn zu Boden und seufzte. Axel hörte, wie ihr Rücken und ihre Gelenke knackten, als sie sich wieder aufrichtete.
»Er ist nicht mehr so leicht, wie er mal war«, meinte sie und streckte sich.
»Ja«, pflichtete Axel ihr bei. »Er wächst schnell.
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