Eine Versammlung von Krähen (German Edition)
bemerken«, protestierte seine Frau. »Was immer …«
Ein langer, gequälter Aufschrei unterbrach sie. Aus welcher Richtung er stammte, ließ sich nicht sagen, aber er wurde lauter.
»Es kommt näher«, fluchte Jerry. »Ich glaube, das war direkt nebenan.«
»Ich will nach Hause«, stieß Stephanie schluchzend hervor. »Meine Eltern und mein kleiner Bruder … Ich muss zu ihnen.«
Randy sah Sam an und ärgerte sich darüber, dass der nicht mehr tat, um Stephanie zu trösten. An seiner Stelle hätte er ihr liebevoll durchs Haar gestreichelt, beruhigende Worte zugeflüstert und versprochen, dass alles gut werden würde. Sam tat nichts von alledem. Er hockte nur stumm und wie vor den Kopf geschlagen da. Außerdem schien er sich unbehaglich zu fühlen. Als er aufschaute und bemerkte, dass Randy ihn finster anstarrte, rutschte er unbehaglich auf dem Polster hin und her.
»Liebes, im Moment kannst du unmöglich nach Hause gehen.« Cindy streckte die Hand aus und tätschelte Stephanies Knie. »Aber ich bin sicher, deiner Familie geht es gut.«
Stephanie schaute nicht von Sams Brust auf. Ihre Stimme erklang gedämpft. »Woher wollen Sie das wissen?«
Cindy öffnete den Mund, um zu antworten, hielt inne, sah die anderen an und schloss den Mund wieder. Sie zog die Hand von Stephanies Knie zurück und wischte sich die Augen ab. Randy fiel auf, dass die Finger seiner Mutter zitterten.
»Wir wissen es nicht«, meinte Jerry schließlich, und Randy hatte den Eindruck, sein Vater rede eher mit sich selbst als mit ihnen. »Genau das ist das Problem.«
»Versuchen wir noch mal, sie anzurufen«, schlug Sam vor. »Und wenn wir schon dabei sind, können wir’s auch gleich noch mal bei Marsha auf dem Handy probieren.«
Jerry schüttelte zweifelnd den Kopf, doch bevor er etwas erwidern konnte, donnerte eine weitere Salve von Schüssen die Straße hinauf. Er zuckte zusammen.
»Für mich klingt das, als ginge da jemand von Haus zu Haus, um die Leute abzuknallen.«
»Vielleicht hören wir aber auch, wie sich jemand wehrt«, gab Randy zu bedenken, der sich Stephanie zuliebe bemühte, zuversichtlich zu klingen. »Es könnte ja sein, dass …«
Etwas prallte mit einem dumpfen Knall gegen die Rückwand des Hauses.
Langsam drehten sich alle zur Küche und den raumhohen Glastüren um, die hinaus auf die Terrasse und in den Garten hinter dem Haus der Cummings führten. Sogar Stephanie erwachte aus ihrer Lethargie. Randy stockte der Atem, als er ihre tränenverschmierten Wangen wahrnahm. Sie glitzerten im matten Kerzenlicht. Ein Kloß bildete sich in seiner Kehle. Dann wanderte seine Aufmerksamkeit zur flackernden Flamme. Sie tänzelte, als striche eine leichte Brise darüber hinweg, aber die Luft im Haus schien keinerlei Zug aufzuweisen. War es außer ihm noch jemandem aufgefallen? Nein, die anderen konzentrierten sich auf die Küchentür. Das dumpfe Pochen wiederholte sich. Gleich darauf schabte etwas über den Zementboden der Terrasse.
Was war das?, bildeten Cindys Lippen eine stumme Frage.
»Bleibt hier«, flüsterte Jerry. »Ich gehe rauf und hole die Pistole.«
Im Gegensatz zu den meisten Männern – und vielen Frauen – in Brinkley Springs war Jerry Cummings kein begeisterter Jäger. Infolgedessen hatte auch Randy kaum Zeit damit verbracht. Ein paarmal hatte er Sam und dessen Vater und Onkel in den Wald begleitet, aber er merkte schnell, dass er sich nicht sonderlich dafür interessierte. Randy hasste sowohl die Kälte als auch die Langeweile. Ungeachtet seines mangelnden Enthusiasmus für die Jagd machte ihm Zielschießen durchaus Spaß, und sein Vater hatte ihn viele Male mitgenommen und mit der Kimber .45 der Familie üben lassen, die Jerry in einer Schließkassette auf der Kommode verwahrte. Zusammen hatten sie etlichen leeren Dosen und Plastikflaschen den Rest gegeben.
Sein Vater schaute in die Runde. »Rührt euch nicht. Macht keinen Mucks. Ich bin gleich wieder da.«
Als er sich in Richtung Treppe in Bewegung setzte, streifte etwas das Glas auf der anderen Seite der Terrassentüren. Cindy sog scharf die Luft ein, und Stephanie wimmerte. Sam stöhnte mit geweiteten Augen. Er drückte Stephanie fest an sich, und Randy fragte sich, ob er damit sie oder sich selbst trösten wollte. Das Geräusch wiederholte sich, diesmal eindringlicher. Die Türen zitterten im Rahmen. Dann klopfte etwas gegen die Scheibe.
Jerry rannte zur Treppe und nahm zwei Stufen auf einmal. Sie hörten über ihnen seine Schritte, als er zum
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