Eine Versammlung von Krähen (German Edition)

wirklich mit Randy passiert ist?«
    »Ich glaube, es hat sich exakt so zugetragen, wie er es beschrieben hat.«
    Esther zuckte zusammen. »Aber einige der Dinge, die er erwähnt hat … dass sich Vögel in Menschen verwandeln … und unsichtbare Kraftfelder …«
    »Sie sind nicht draußen gewesen. Wir schon. Ich glaube, der Junge sagt die Wahrheit. Eigentlich weiß ich sogar, dass dem so ist. Wir haben einige dieser Dinge selbst gesehen.«
    Myrtle erbleichte. »Ist das die Apokalypse? Sind es Dämonen?«
    »Ich weiß noch nicht genau, mit wem wir es zu tun haben. Das muss ich herausfinden.«
    Sie verstummten wieder und lauschten, wie Marsha und Randy weinten.
    Levi drückte die Finger beider Hände gegeneinander, schloss die Augen und konzentrierte sich. Randys unerwartetes Auftauchen hatte ihn aus dem Konzept gebracht. Der Junge besaß eindeutig die Gabe, schien jedoch nicht das Geringste davon zu ahnen. In gewisser Weise beineidete Levi ihn darum. Er dachte an die Zeit zurück, als er selbst in Randys Alter gewesen war – an jenen verhängnisvollen Sommer, der alles verändert hatte, in dem er erfahren hatte, was für einen hohen Preis es für Magie zu bezahlen galt. Er wünschte sich, er wäre damals genauso ahnungslos gewesen. Hätte er nicht Bescheid gewusst, wären die Dinge vielleicht anders gelaufen. Dann könnte das Mädchen, das er geliebt hatte, noch am Leben sein. Und er könnte noch ein Zuhause haben – ein richtiges Zuhause mit Menschen, denen er willkommen war, und einer Familie, an die er sich wenden konnte, was immer auch geschah.
    Er durfte die Konzentration nicht verlieren. Rührselig über die Vergangenheit nachzusinnen, half ihnen in der momentanen Lage nicht weiter. Was wusste er bisher? Brinkley Springs wurde von übernatürlichen Wesen angegriffen, die in der Lage waren, ihre Gestalt zu verändern. Sie traten wechselweise in Gestalt von Menschen und Krähen in Erscheinung. Als Menschen kleideten sie sich altertümlich und im puritanischen Stil. Ihre Ausdrucksweise war eine eigentümliche Mischung aus antiquierten Wendungen und modernem Slang. Enorme Körperkraft und Wendigkeit paarten sich mit übernatürlichen Fähigkeiten. Sie schlachteten systematisch jedes Lebewesen ab und verschlangen die Seelen ihrer Opfer. Zurück blieben leere Hüllen, so wie eine Heuschrecke im Sommer ihre vertrocknete Schale an einem Baum zurücklässt. Kurz nach dem Tod verwandelten sich die Leichen ihrer Opfer in Staub, sodass lediglich ein kleiner Aschehaufen zurückblieb.
    Levi schauderte beim Gedanken an ein solches Schicksal. Der Seele beraubt zu werden, jegliches Gefühl für das eigene Selbst zu verlieren, diese Existenzebene nicht hinter sich zurücklassen zu können, als Nullsumme ohne jegliche Chance auf Wiedergeburt sein jenseitiges Dasein zu fristen – das war das schlimmste Los, das er sich vorstellen konnte. Lieber würde er in der Hölle enden, als vollkommen ausgelöscht zu werden.
    Was wusste er sonst noch? Die Wesen schienen immun gegen verschiedenste mystische Vorgehensweisen und magische Disziplinen zu sein. Sein Bindungszauber hatte nur teilweise gewirkt und seinen Gegner lediglich geschwächt, statt ihn vollständig seinem Willen zu unterwerfen. Sie hatten Brinkley Springs von der Außenwelt abgeschnitten, und zwar mittels einer mystischen Barriere. Es musste enorme Willenskraft und gewaltige Energie gekostet haben, sie zu errichten. Grundsätzlich bestand die Möglichkeit, dass es sich bei der Barriere um eine Art Seelenkäfig handelte, allerdings hatte Levi noch nie von einem derart großen Konstrukt gehört. In jedem Fall war es eine verblüffende Leistung. Und zu guter Letzt war da noch das Wort, das Randy eingeritzt in die Rinde eines Baums entdeckt hatte – Croatoan . Aus ihren Reaktionen ließ sich unschwer ablesen, dass Randy, Marsha, Donny, Esther und Myrtle das Wort und dessen Bedeutung nicht kannten. Levi hingegen sehr wohl, nur vermochte er nicht, einen Zusammenhang zu den übrigen Beobachtungen herzustellen.
    Noch nicht.
    Croatoan . Das Wort besaß verschiedene Bedeutungen, und nicht alle hatten mit okkultem Wissen zu tun. Im besten Fall handelte es sich lediglich um eine Ortsbezeichnung, aber Levi war ziemlich sicher, dass es in einem weitaus unheilvolleren Zusammenhang zu den Ereignissen dieser Nacht stand.
    Er öffnete die Augen, löste seine Finger voneinander und räusperte sich. Alle anderen drehten sich zu ihm um.
    »Die Landstraße, die in die Stadt führt – wie