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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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etwas anderes, etwas, das ihm Freude machte. Man konnte ihm nicht böse sein.
    Als sie Tom ansah, war er gerade damit durch, sie anzusehen, so als hätte er etwas gesagt und sie hätte nicht reagiert. »Was?«, sagte sie und schob eine Haarsträhne an ihren Augen vorbei auf die Seite. Nun sah sie ihn direkt an. »Siehst du etwas, das dir nicht gefällt?«
    »Mir fiel gerade dieser alte Spruch ein, den wir draufhatten, als ich noch ein ganz junger Polizist war. ›Das Drama wird erst interessant, wenn der Bösewicht etwas Wahres sagt.‹ Stammte aus irgendeinem Seminar, in dem du warst. Ich weiß es nicht mehr.«
    »Habe ich gerade etwas Wahres gesagt?«
    Er lächelte. »Ich dachte nur, dass in all den Jahren meine Bösewichter nie viel gesagt haben, das wahr oder auch nur interessant gewesen wäre.«
    »Fehlt dir das, jeden Tag neue Bösewichter zu haben?« Das war natürlich die Frage der Fragen; die eine, die ihr vor einem Jahr nicht eingefallen war, während der Crystal-Krise. Die Frage nach dem enormen Verlust der Berufung. Eine Ehefrau konnte nur hoffen, dass sie die verlorenen Bösewichter zu ersetzen vermochte.
    »Kein Stück«, sagte er. »Ist doch wunderbar so.«
    »Ist das Alleinleben für dich besser?«
    »So sehe ich es eigentlich nicht.«
    »Wie siehst du es denn dann, eigentlich?«
    »Ich sehe es so, dass wir warten«, sagte Tom ernsthaft. »Darauf, dass eine längere Phase vorübergeht. Dann werden wir weitermachen.«
    »Wie sollen wir diese Phase denn nennen?«, fragte sie.
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht eine Phase der Neuanpassung.«
    »Neuanpassung an was genau?«
    »Einander?«, sagte Tom und hob seine Stimme albern am Ende des Satzes.
    Sie näherten sich einer Stadt. BELFAST, MAINE . Ein schwarz-weißes Schild glitt vorbei, die Gemeindegrenze. GEGRÜNDET 1772 . Das besiedelte Gebiet begann. Der Highway hatte allmählich die Höhe des Meeresspiegels erreicht. Der Verkehr wurde langsamer, während am Straßenrand Motels, Schuhgeschäfte und Töpfereien auftauchten und kleine Bootswerften, die hölzerne Edel-Dinghis verkauften.
    »Mir war gar nicht bewusst, dass ich eine Neuanpassung brauche«, sagte Nancy. »Ich wäre damit zufrieden gewesen, einfach weiterzumachen. Ich war dir nicht böse. Bin ich immer noch nicht. Obwohl ich mir durch deine Sicht der Dinge ein bisschen lächerlich vorkomme.«
    »Ich dachte, das hättest du gewollt«, sagte Tom.
    »Was? Mir lächerlich vorkommen? Oder eine Phase der Neuanpassung ?« Sie ließ das Wort idiotisch klingen. »Bist du ein totaler Dämlack?«
    »Ich dachte, du bräuchtest Zeit zur Klärung.« Tom fühlte sich deutlich auf den Schlips getreten, weil sie ihn einen Dämlack genannt hatte. Das war für sie beide alter Chicago-Code. Eine Ursprache des Ekels.
    »Herrgott, warum redest du so?«, sagte Nancy. »Obwohl, wahrscheinlich sollte ich wissen, warum, nicht wahr?«
    »Warum?«, sagte Tom.
    »Weil es Bockmist ist und sich auch absolut danach anhört. In Wahrheit wolltest du ausziehen, aus deinen eigenen Gründen, und jetzt versuchst du herauszufinden, ob du es schon leid bist. Und mich. Aber irgendwie soll ich dran schuld sein.« Sie lächelte ihn mit gespieltem Erstaunen an. »Ist dir eigentlich klar, dass du ein erwachsener Mann bist?«
    Er schaute kurz zu Boden, dann wieder hoch zu ihr, voller Verachtung. Sie rollten immer noch. Route 1 knickte auf einer frisch asphaltierten Umgehungsstraße nach links ab, während Tom in den eigentlichen Ort Belfast hineinfuhr, der sich binnen Sekundenbruchteilen als hübsches, schmuckes Viertel aus großen Anwesen in diversen Stilrichtungen entpuppte, viktorianisch, Federal und Greek Revival, großen Anwesen auf großen Grundstücken, die an einer alten, holprigen Straße unter hohen alten Ulmen standen, und hie und da war ein Kirchturm fest im immer noch sommerlichen Himmel verankert.
    »Das ist mir klar. Und wie klar mir das ist«, sagte Tom, als hätten diese Worte eine größere Tragweite, als sie ermessen könnte.
    Nancy schüttelte den Kopf und sah sich die baumbestandene Straße an, auf deren rechter Seite ein einstöckiger Krankenhausanbau im Neo-Kolonialstil entstand. Neuer Parkplatz. Neuer Flügel für die Onkologie-Abteilung. Ein Hubschrauberlandeplatz. Arbeitsplätze, so weit das Auge reichte. Hinter dem Krankenhaus lag eine moderne Schule mit vielen Fenstern, die nach Margaret Chase Smith benannt war, und ihre Sportmannschaften hießen, wie dasselbe Schild mitteilte, die SOLONS . Irgendeiner, der

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