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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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besonders witzig sein wollte, hatte in triefender blutroter Farbe »Sodoms« drübergeschrieben. »Da ist eine hübsche neue Schule, die sie nach Margaret Chase Smith benannt haben«, sagte Nancy, um das Thema zu wechseln, weg von der Phase der Neuanpassung und dem Versagen der Freundlichkeit. »Sie war eine meiner frühen Heldinnen. Sie hat als Senatorin eine mutige Rede gegen McCarthy gehalten und engagierte, bewusste Bürger gefordert. Leider eine Republikanerin.«
    Tom war verstummt. Er hasste Streit noch mehr, als dabei ertappt zu werden, wenn er Bockmist erzählte. Das war eine seltene Qualität. Sie bewunderte ihn dafür. Nur, vielleicht wurde er gerade zu jemandem, der Bockmist erzählte. Wie war denn das passiert?
    Sie erreichten das unauffällige Zentrum von Belfast, wo die ziegelgepflasterten abschüssigen Straßen an ansehnlichen älteren Geschäftsgebäuden aus Backstein vorbeiführten. Die meisten Ladenfronten waren nicht modernisiert worden; einige Geschäfte waren geschlossen, aber die diagonal angelegten Parkplätze alle besetzt. Am Fuß des Hügels ein kleiner Hafen mit Stadtdock und ein paar exquisiten Segelbooten auf ihren Liegeplätzen bei Ebbe. Eine Stadt im Übergang. Schwer zu sagen, von was zu was.
    »Ich würde gern etwas essen«, sagte Tom steif und steuerte Richtung Wasser.
    Ein Fischsuppenrestaurant, das wusste sie schon, würde am Ende der Straße auftauchen, einen angenehmen, aber nicht spektakulären Meerblick durch geschlossene Fliegengittertüren zu bieten haben, dazu grässliches Essen, serviert auf weißem Plastikgeschirr und weißen Tischsets mit einem Leuchtturm oder einem Papageientaucher drauf. Wer in seiner eigenen Kultur kein Analphabet war, wusste das. »Bitte sei nicht mehr böse«, sagte sie matt. »Ich hatte gerade so einen Moment. Es tut mir Leid.«
    »Ich habe versucht, das Richtige zu sagen«, sagte er gereizt.
    »Das weiß ich.« Sie überlegte, nach seiner Hand auf dem Steuerrad zu greifen. Aber sie waren schon fast vor dem Restaurant, das sie vorhergesehen hatte – grüne Hartfaserplatte mit Fliegengittertüren und einem großen rot-weißen Schild, das Fischsuppe versprach, dazu eine Aussicht auf die Penobscot Bay, die so pittoresk und rein und unverfälscht war, dass es schon wehtat.
    Sie aßen an einem langen Picknicktisch mit verschmierter Wachstuchdecke zu Mittag, mit Blick auf den kleinen Hafen von Belfast. Beide bestellten Hummertopf. Nancy nahm ein Bier, um sich etwas aufzumuntern. Ein warmes, fischiges Meereslüftchen zog durch die Fliegengittertüren und blies ihre Tischsets und Servietten weg. Es waren nur wenige Gäste da. Im größten Teil des Lokals – das im Grunde nichts anderes war als eine große Veranda mit Fliegengitter drum herum – standen die Tische und die grünen Plastikstühle aufeinander gestapelt, und ein handgeschriebenes Schild an der Kasse besagte, dass das Restaurant in einer Woche für den Winter schließen würde.
    Tom blieb nach ihrem Streit im Auto launisch und brachte es nur widerstrebend über sich, zu erwähnen, dass Belfast eine der letzten »unentdeckten« Städte an der Küste sei. In Camden und weiter östlich Richtung Bar Harbor hätten die Reichen schon alles aufgekauft. Wenn hier irgendetwas verkauft würde, dann nur innerhalb der Familien und über Anwaltskanzleien in Philadelphia und Boston, ohne Immobilienmakler. Er nannte die Rockefellers, die Harrimans und die Fisks. In Belfast, sagte er, sei die Entwicklung allerdings durch gewisse Umweltprobleme gebremst worden – eine Geflügelfabrik habe die Bucht seit Jahrzehnten verschmutzt, so dass die teure Segel-Society nicht hergekommen sei. Früher einmal, sagte er, sei der jetzt so ansprechende Hafen voller Hühnerfedern gewesen. Das kam einem sehr unwahrscheinlich vor. Tom schaute durch das staubige Fliegengitter auf einen kahlen Park am Wasser, auf der anderen Seite der abschüssigen Straße. Ein Basketballplatz aus Asphalt war aufgebaut worden, und ein paar pummelige weiße Jungs übten beidhändige Sprungwürfe und dribbelten ungeschickt mit dem Ball herum. Am äußersten Ende, wo keiner spielte, stand ein neues Klettergerüst.
    »Da drüben«, sagte Tom und zeigte, den Plastiklöffel zwischen Daumen und Zeigefinger, auf die leere grasbewachsene Grünanlage, die aussah, als wäre dort einmal etwas Großes gewesen. »Da stand die Hühnerfabrik – direkt an den Hafen geklatscht. Irgendwann hat sie der Staat endlich dichtgemacht.« Tom runzelte die Stirn über

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