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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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hoch und stellte ein Lächeln auf ihre Lippen. Die Sonne schien ihr ins Gesicht. Ihre Schläfen fühlten sich wunderbar warm an. Ein Mann in Khakishorts kam gerade mit einer Golftasche aus dem gelben Haus und ging um die Ecke, wo auch der Labrador verschwunden war. Er bemerkte die beiden und winkte, als wären sie Nachbarn. Nancy winkte zurück und lenkte ihr Lächeln zu ihm um.
    »Und wo soll ich hin?«, fragte sie, immer noch lächelnd. Ein braun-weißer Streifenwagen der Polizei von Belfast tuckerte vorbei, sein uniformierter Fahrer beachtete sie nicht.
    »Ich denke mir, du kommst mit«, sagte Tom. »Das könnte unser großes Abenteuer werden.« Der feierliche Ausdruck, den er aufgesetzt hatte, als es um Pat La Blonde gegangen war, blieb auf seinem attraktiven Gesicht. Gar nicht mehr der Totenkopf, sondern ein ganz anderer Ausdruck. Eine Einladung.
    »Du möchtest, dass ich nach Maine ziehe?«
    »Genau.« Tom gelang ein kleines, hoffnungsfrohes Lächeln, und er nickte.
    Höchst merkwürdig, das Ganze, dachte sie. Da gingen sie durch eine Straße in einer Stadt, die sie weniger als zwei Stunden kannten, und ihr in Trennung lebender Ehemann schlug vor, dass sie ihr jetziges Leben verlassen sollten, in dem sie beide einigermaßen, wenn nicht gar unwahrscheinlich glücklich waren, um hierher zu ziehen.
    »Und warum noch mal?«, fragte sie und merkte, dass sie angefangen hatte, den Kopf zu schütteln, obwohl sie immer noch lächelte. Die Dacharbeiter lachten wieder über irgendetwas an diesem klaren, heiteren Nachmittag. Die Kettensäge hielt weiter Ruhe. Das Hämmern setzte wieder ein. Der Mann mit der Golftasche fuhr rückwärts mit einem Volvo-Kombi aus der Einfahrt, der dieselbe Farbe hatte wie seine Haustür. Er sprach dabei in ein Handy. Der Labrador trottete hinterher, hielt aber inne, als der Wagen schwungvoll auf die Straße bog.
    »Weil es hier oben noch nicht verdorben ist«, sagte Tom. »Und weil ich da, wo ich bin, zu viel über mich weiß, und ich würde gern noch etwas Neues herausfinden, bevor ich zu alt werde. Und weil ich denke, wenn ich – oder wenn wir – es jetzt tun, werden wir es nicht mehr erleben müssen, wie hier alles versaut wird. Und weil ich denke, dass wir glücklich sein werden.« Tom schaute plötzlich nach oben, als wäre etwas blitzartig an seinen Augen vorbeigeschossen. Er wirkte einen Moment lang verblüfft und sah sie dann wieder an, als wäre er sich nicht ganz sicher, dass sie noch da war.
    »Das ist aber nicht gerade Leben-durch-Vorwegnahme.«
    »Nein«, sagte Tom, immer noch verdattert dreinschauend. »Wohl nicht.« Er konnte wie ein äußerst ernsthafter, äußerst attraktiver Junge wirken. Sie fühlte sich alt bei dieser Beobachtung.
    »Und, soll ich noch hier auf dem Bürgersteig ja oder nein sagen?« Sie dachte an die Frau, die Wäsche aufhängte, mit weißen Handschuhen. Nicht nötig, das jetzt wieder aufzuwärmen, oder die verheerende Kälte, die in einem Monat einfallen würde.
    »Nein, nein«, sagte Tom unschlüssig. Er wirkte fast so, als wollte er gleich alles wieder zurücknehmen, ganz aufgewühlt davon, dass er nun gesagt hatte, was er sagen wollte. »Nein. Musst du nicht. Mir ist klar, dass viel davon abhängt.«
    »Hast du das alles geplant?«, fragte sie. »Diese ganze Woche? Diese Stadt? Diesen Moment? Ist das ein Komplott?« Sie war so weit, dass sie darüber hätte lachen und es ignorieren können.
    »Nein.« Tom fuhr sich mit der Hand durch die Haare, wo verschiedene verstreute Grautöne zu finden waren. »Es ist einfach passiert.«
    »Und wenn ich einfach sage, ich glaube dir nicht, was dann?« Sie merkte, dass sie die Lippen missbilligend ganz leicht nach außen gestülpt hatte. Das war seit Crystal zu einer Angewohnheit geworden.
    »Dann würdest du dich irren.« Tom nickte.
    »Na.« Nancy lächelte und sah die hübschen ernsthaften Häuser ringsum an, die nüchterne, pittoresk beschattete Straße, die abfallenden Rasenflächen, die das Ganze so recht in Szene setzten, für alle Welt. Wenn Sie eine gepflegte Umgebung suchen, schauen Sie sich mal hier um. Das war nicht das Michigan des Ostens. Warum sollte man nicht hierher ziehen?, dachte sie. Es war der sagenhafte Traum eines Jungen. In gewisser Weise träumten ihn alle, warteten darauf, dass er wahr wurde. Nur sie nicht, komisch.
    »Jetzt werde ich müde.« Sie tippte Tom leicht mit dem Finger auf die Brust. Sie fühlte sich, genauer gesagt, schwer, noch älter als zuvor. Erledigt. »Komm, wir suchen

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