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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Das war eine nützliche Lektion, die sie beim Praktizieren des Rechts gelernt hatte, und dann konnte man auch abends nach Hause gehen und schlafen.
    Plötzlich setzte sich Tom wieder in Gang, offenbar entschlossen, das Thema, dass andere Leute die verschiedenen Seiten der Medaille besser im Griff hatten, nicht zu vertiefen. Nur gut.
    »Ich habe vorhin an Pat La Blonde gedacht, als wir unten im Restaurant saßen«, sagte er und hielt seinen Kurs, bei dem er ihr mit seinen langen Schritten ein Stück voraus war, aber so, als wäre sie neben ihm.
    Pat La Blonde war Toms Partner gewesen, der damals bei der Schießerei getötet worden war. Bislang hatte Tom nie besonderes Interesse daran gezeigt, über ihn zu sprechen. Sie machte größere Schritte, um wieder neben ihm zu sein und ihm einen sichtbaren Zuhörer zu liefern. »Ich bin da«, sagte sie und kniff eine Falte in sein verschwitztes Hemd.
    »Mir ist gerade klar geworden«, fuhr Tom fort, »wie viel vom Leben Pat versäumt hat. Die ganze Zeit denke ich daran. Und dann kommt mir alles so verflucht verstopft vor. Als Pat ums Leben kam, stand für mich plötzlich überall alles im Weg. Fast als hätte ich nicht mehr weiterleben können, weil alles so durcheinander war. Ich weiß, dass du das nicht für verrückt hältst.«
    »Stimmt«, sagte Nancy. Sie glaubte sich zu erinnern, dass Tom genau das einmal gesagt hatte. Es konnte aber auch sein, dass sie diese Dinge über ihn gedacht hatte. So funktionierte die Ehe. Vielleicht hatten sie beide dasselbe gefühlt, als eine Art Trauer. »Und deshalb hast du den Polizeijob an den Nagel gehängt, stimmt’s?«
    »Wahrscheinlich.« Tom blieb stehen, stemmte die Hände in die Hüften und ließ ein beachtliches gelbes Dutch-Colonial-Haus auf sich wirken, das weit hinten unter Ginkgos und Zuckerahornen stand. Ein gewundener Pflastersteinpfad führte von der steinernen Gartenmauer bis zu der leuchtend roten, exakt mittigen, buchsbaumbestandenen Eingangstür. »Das ist ein schönes Haus«, sagte er. Ein großer schwarzer Labrador hatte vorn im Garten gelegen, aber als Tom sprach, kämpfte er sich hoch und trottete um die Ecke des Hauses, außer Sicht.
    »Es ist wunderschön.« Nancy berührte wieder den Rücken seines Hemdes, unten, wo es feucht und warm war. Hier hatte er sehnige Muskeln. Es tat ihr Leid, dass sie seinen Rücken in letzter Zeit nicht mehr berührt hatte. In Freeport, gestern Nacht.
    »Ich glaube«, sagte Tom und wirkte widerstrebend, »seit Pat umgebracht wurde, habe ich mich vom Leben enttäuscht gefühlt. Kennst du das?« Er schaute das gelbe Haus immer noch an, als wäre es das Äußerste, was er ertragen könnte. »Oder ich habe Angst davor gehabt, enttäuscht zu werden. Immer war das Leben in Ordnung, und dann habe ich plötzlich keinen Weg mehr gesehen, irgendetwas einfach zu halten. Und habe alles komplizierter gemacht.« Er schüttelte den Kopf und sah sie an.
    Nancy zog ihre Hand behutsam von der warmen Stelle unten an seinem Rücken fort und hielt beide Hände schützend hinter sich. Irgendetwas an Toms Ausführung hatte gerade angefangen, sich wie ein Prolog zu etwas anzuhören, das womöglich diesen schönen Tag verderben und alles umkrempeln würde. Vielleicht hatte er es so geplant.
    »Siehst du denn eine Möglichkeit, es weniger kompliziert zu machen?«, fragte sie und schaute nach unten auf ihre ledernen Schuhkappen und den groben Betonbürgersteig. Ein Rechteck war in den noch weichen Mörtel gepresst worden, und mittendrauf stand PENOBSCOT BETON – 1938 . Sie suchte absichtlich nicht seinen Blick.
    »Jawohl«, sagte Tom. Er atmete bedeutungsvoll ein und wieder aus.
    »Und, darf ich auch davon erfahren?« Allmählich ärgerte es sie, hier zu sein, mit irgendeinem Plan überfahren zu werden.
    »Also«, sagte Tom. »Ich denke, ich könnte in einer Stadt wie dieser hier einen Raum für meine Werkstatt finden. Wenn ich mich anstrenge, fallen mir bestimmt noch ein paar neue Spielzeugmodelle ein, vielleicht kann ich jemanden einstellen. Meine Produktion erweitern. Die Website-Idee durchziehen. Ich denke, ich könnte es schaffen, so wie sich die Lage hier entwickelt. Und wenn nicht, wäre ich immer noch in Maine und könnte mir was anderes suchen. Wenn alle Stricke reißen, könnte ich auch wieder Cop werden.« Er fixierte sie mit seinen blauen, schwarz gesprenkelten Augen, obwohl Nancy entschieden hatte, ihm mit gesenktem Kopf zuzuhören, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Jetzt sah sie zu ihm

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