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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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einen herfiel. Ehe, Kinder – so ließ es sich zum Beispiel auskosten. Seine Eltern hatten es so gemacht. (Vielleicht waren sie inzwischen gar nicht mehr so glücklich darüber.) Aber es gab Alternativen, Wege, die die Gesellschaft oder ihr Arbeitgeber, die Firma Weiboldt – rote und weiße »Zu Verkaufen« und »Leider schon weg«-Schilder zuhauf an der Meeresküste zwischen Cape May und Cape Ann –, nicht durchgehen lassen würden; Wege, die man sicher nicht an jedem Tag seines Lebens wieder von neuem beschreiten würde. Abgesehen davon, dass genau diese Wege natürlich jeden Tag eingeschlagen wurden. Wahrscheinlich gab es jede Sekunde irgendwo irgendwen , der auf ebenso einem Weg das Leben ergriff und auskostete. Wahrscheinlich kostete es irgendjemand in genau diesem Ramada Inn aus, während ihr Bankett gerade zu Ende ging. Warum dagegen ankämpfen?
    »Ich hoffe, ich habe jetzt nicht leichthin über ein ernstes Thema gesprochen«, sagte Frances mit verdüsterter Miene, sie meinte seine Eltern. Sie trug einen kurzen weißen Lederrock mit einer grün gepunkteten Bluse, die ihre Figur kein bisschen betonte, das wusste sie. Was sie heute Abend hatte erreichen wollen, an ihrem ganz besonderen Abend der Anerkennung, war zweierlei: umwerfend und trotzdem nach Business aussehen. Schließlich hatte sie mehr Immobilien in ihrem Teil von West-Connecticut verkauft als irgendjemand sonst, und sie hatte sich dafür den Arsch aufgerissen. Nicht etwa, indem sie moderne Villen mit Meerblick und Föderalisten-Herrenhäuser in Watch Hill anbot, sondern indem sie Reihenhäuser in guatemaltekischen Vierteln verkloppte, Vier-Zimmer-Holzcottages, Eigentumswohnungen für ’n Appel und ’n Ei, die im Windschatten der Müllkippe von Willamantic lagen – Objekte, mit denen man im Revier der Kollegen zugeschmissen wurde. Und sie wusste, dass es für ein laufendes Geschäft keine freien Abende gab und man besser seine Rolle überzeugend spielte. Sie sah sich als cleveres, zähes Frettchen, als kleine Polackenraffke, als Frühaufsteherin, als Schnellmerkerin, die nicht mit der Wimper zuckte.
    Aber das hieß ja nicht, dass man mit einem Typen wie diesem großen Howard nicht vielleicht auf seine Kosten kommen konnte. Ein langer, großer, täppischer Sportsfreund mit mutwilligem Zwinkern im Augenwinkel, der auch mal ein bisschen Dampf ablassen musste. Ein intensives, vertrauliches Gespräch mit Howard Cameron war die Extra-Belohnung dafür, dass sie ihren Job so verdammt gut machte.
    »Wenn wir uns in eine Bar vertagen, wo es nicht so viele bekannte Gesichter gibt, müssten wir nicht so feierlich tun, wetten?«, sagte Frances und tupfte sich mit der Serviette die Mundwinkel ab. Sie mochte den Klang ihrer Stimme, als sie das sagte.
    Howard nickte schon. »Genau. Stimmt genau.« Er griff nach dem billigen, in Holzimitat gerahmten Zertifikat, das er bekommen hatte, weil er riesige Mengen Immobilien verkauft und damit jeden reich gemacht hatte außer sich selbst. »Das werde ich zu Hause über meine Mülltonne hängen.« Unter seinem Namen saß ein aufgeklebtes Gold-Siegel auf dem Zertifikat, und die Worte In Hoc Signo Vinces waren in frakturschriftähnlichen Lettern rings um den Rand geprägt. Er hatte keine Ahnung, was das bedeutete.
    »Meins werde ich baldmöglichst irgendwo verlieren«, sagte Frances. Er spürte, wie ihr kleiner brettharter Turneroberschenkel (mutmaßlich unschuldig) sein Knie streifte, als sie von der langen Tafel wegschlüpfte. »Sie finden eine Bar für uns, okay? Ich finde dann Sie«, sagte sie und legte ihre kleine Hand auf seine große und drückte kurz zu. »Ich bin mal kurz auf dem Dingens.« Sie steuerte die hinteren Türen an und ließ ihn allein am Tisch sitzen.
    Das große schwarze Gesicht einer Negerin starrte schon seit einer Weile durch das runde Bullaugenfenster in der Küchentür. Das Küchenpersonal wollte nach Hause gehen. Aber als Howard ihren Blick auffing, zwinkerte sie ein fettes, lüsternes Zwinkern, das er gar nicht mochte.
    Aber so passierten diese Dinge eben, begriff er, die bechintzte »Makler des Jahres«-Plakette betastend. Er würde Frances Bilandic heute Nacht nicht das letzte Mal begegnen. Das ließe sich gar nicht vermeiden. Er hatte keine Vorstellung von den Umständen oder von dem Grad an Risiko, die das mit sich brachte – ob sie dann schnurstracks ins Bett oder nur zum Mittagessen gehen würden. Sex konnte, das wusste er, auf glühende und zugleich seltsam vertraute Weise noch den

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