Eine Vielzahl von Sünden
daran interessiert sind«, bemerkte Frances. Die Skandinavier hätten da bei weitem die beste Haltung, wo der Sex nämlich keine große Sache sei – nur ein normale menschliche Reaktion (wie Schlafen), der man nachgehen sollte, ohne sich darauf zu fixieren.
Die Amerikaner hängten sich an falschen Vorstellungen von Schönheit und Jugend auf, stimmte Howard zu und verschränkte weise seine langen Arme. Er war einsfünfundneunzig groß, hatte plumpe, pizzatellergroße Hände und hatte früher am College of Western Connecticut Basketball gespielt. Sein Vater war sein High-School-Trainer gewesen. Howard hatte graue stumpfe, eng zusammenstehende Augen und einen altmodischen, wie mit der Kreissäge abgesäbelten Kurzhaarschnitt, der ihn älter aussehen ließ als neunundzwanzig. Der Orgasmus werde im Vergleich zu echter Intimität weitaus überschätzt, diese dagegen weitaus unter schätzt, sagte er.
In einer Ehe könne nichts jemals ganz perfekt sein, da waren sie sich einig. Und die Ehe solle keinesfalls eine Gefängniszelle sein. Die besten Ehen seien meistens diejenigen, wo beide Partner sich frei genug fühlten, ihren eigenen Bedürfnissen nachzugehen, obwohl weder Howard noch Frances damit das Konzept einer »offenen Ehe« verfechten wollten.
Das Wort Ehe , sagte Frances, stamme ursprünglich aus dem Altnordischen, wo es den Zeitpunkt nach dem Ausbruch einer tödlichen Krankheit bezeichne, wenn einen die Krankheit schon im Griff habe, man aber noch ziemlich gut herumlaufen könne. Das war der Lieblingswitz ihres Vaters und sollte sich nicht sauertöpfisch anhören. Nur so ein Joke wie Howards Alzheimer-Schote halt. Sie merkte, mit diesem Howard Cameron konnte sie Witze machen. Er war auf dieselbe platte bis plumpe Art geistreich wie verklemmte Exsportler, die nicht vollkommen beschränkt waren, witzig sein konnten. Sie war beeindruckt, dass sie bei ihm nach nur zwei Stunden schon loslassen konnte. Mit Ed war sie in sechs Jahren Ehe nicht so weit gekommen.
»Ich bin der fünfte von fünfen. Alles Jungs«, sagte Howard und sah den mexikanischen Kellnern dabei zu, wie sie das Bankettgeschirr abräumten. Ihre Tafel hatte sich geleert, und die anderen Gäste verließen den Saal durch die Hintertür, wodurch die beiden auffällig allein an dem weiß beschürzten Podium-Tisch sitzen blieben. Die Leute verabschiedeten sich und witzelten lahm, dass sie wahrscheinlich die Nacht im Auto auf der Interstate-Autobahn verbringen würden. Das Licht wurde hochgefahren, damit alle gingen, und im Saal roch es nach abgestandenem Essen. Ihm wurde bewusst, dass sie eindeutig zu lange blieben. Aber er spürte eine Vertrautheit mit Frances Bilandic. »Meine Eltern hatten bestimmt ein solides Sexleben, bis mein Dad mit den Blutverdünnern anfangen musste«, fuhr Howard feierlich fort. »Dann hat sich wohl einiges geändert.«
»Dann kam die Technologie ans Ruder, wie?«, sagte Frances und verzog den Mund. Sie war aufgekratzt und hatte blitzende Augen, einen attraktiven kleinen blonden Männerhaarschnitt und einen kaum merklichen Überbiss, der manchmal ihre unteren Schneidezähne etwas bloßlegte. Sie war die einzige Tochter eines polnischstämmigen Witwers aus Bridgeport, hatte beim High-School-Turnen den Waagebalken gezeigt und war so hart wie ein kleiner Ziegelstein. Wahrscheinlich hatte sie schon viel erlebt. Er wusste, er wurde zu schnell zu ernst, das konnte sie abschrecken. Sie wollte diejenige sein, die wusste, was Sache war. Es war ein Spiel. »Und dann Pillen? Oder die Pumpe, stimmt’s?«, fuhr Frances fort und machte eine kleine Pumpbewegung mit dem Daumen, auf-ab, auf-ab, und dazu ein kleines »iiiee-iiiee-iiee«-Quietschgeräusch. »Bei älteren Herrschaften funktioniert’s so besser, glaube ich.«
»Dafür ist er nicht der Typ«, sagte Howard. Er dachte an seinen Vater, wie er traurig auf ihrem weiten frisch gemähten Rasen hinterm Haus stand, einem Hang bis hinunter zum schimmernden Quinnebaug River in Pomfret. Das war an dem Spätfrühlingstag, als sein Vater aus dem Krankenhaus zurückkam, wo man ihm seine Arterien mit einem Ballon erweitert hatte. Gänse flogen in V-Formation über sie hinweg. Sein Vater hatte verblichene Madras-Shorts an und stand barfuß im kühlen Gras, einfach ins Leere starrend. Seine Beine waren dünn und bleich. Herzzerreißend.
Aber wie herzzerreißend auch immer, dachte Howard, es bedeutete auch, dass man das Leben ergreifen und auskosten musste, bevor einer mit einem Arterienballon über
Weitere Kostenlose Bücher