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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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unverdächtigsten, unschuldigsten menschlichen Austausch zu einer unumkehrbaren Situation werden lassen, und genauso existierte jetzt nichts anderes mehr als der verabredete Absacker und die mit ziemlicher Sicherheit stattfindende ernsthafte Erwägung, sich in nicht allzu ferner Zukunft gegenseitig das Hirn aus dem Schädel zu ficken. Sie wusste das. Und egal, wo das hinführte, sie schien nichts dagegen zu haben – das kleine Entlangstreifen an seinem Bein war kein Versehen gewesen. Die Frauen waren heutzutage so anders, dachte er – berufstätige Frauen vor allem. Wenn einem heutzutage einer geblasen wurde, bedeutete das nicht mehr als früher ein Händeschütteln. Als er an diesem Abend über den von Feriengästen wimmelnden Korridor der I-95 nach Süden gefahren war, hatte er noch keine Ahnung davon gehabt, dass es überhaupt eine Frances Bilandic auf dieser Welt gab oder dass sie auf ihn wartete und dass es nicht länger dauern würde als ein Bankett, bei dem er zum Makler des Jahres ernannt wurde, bis sie sich auf die Suche nach einer dunklen kleinen Bar begaben, um sich ein bisschen im Dreck zu suhlen. Die Welt steckte voller wunderbarer Überraschungen. Und für diese war er bereit – bereit, all das Geheimnisvolle und Wundersame zu entdecken, die sie bereit war, ihm zu bringen.
    Er schaute wieder zu dem Bullaugenfenster, wo das Gesicht der schwarzen Frau ihn angezwinkert hatte. Er wollte ihr einen Antwortblick zuwerfen, der ihr sagte, er wüsste, was sie wüsste. Doch das Fenster war leer, das Licht dahinter gelöscht.
    In Phoenix hatte das »Verkaufs-Festival« von Weiboldt ein turmhohes Radisson aus Chrom und Glas gestürmt, in einem dicht besiedelten westlichen Suburb. Es stand auf einem vorgelagerten Hügel, und man hatte von dort aus eine gewaltige Aussicht auf die bedrückende, endlose City. Hier gab es zwei Golfplätze, fünfundvierzig Tennisplätze, ein Wasserspaß-Center für die Kleinen, ein Aquarium, ein Kasino, ein IMAX , ein Multiplex mit achtzehn Kinosälen, ein Krankenhaus, eine Bibliothek, ein Krisenberatungscenter und eine überirdische eingleisige Bahn, die irgendwohin in die Wüste zischte. Das alles schien ihnen lange, stille und leere Korridore zu garantieren, wo sie niemandem begegnen würden, leere Treppenhäuser und Fahrstühle, deren Türen sich auf Gesichter öffneten, die keiner von ihnen je wiedersehen würde. Dazu luftdichte Zimmer mit Klimaanlage und schweren lichtundurchlässigen Vorhängen, ausladenden Betten mit kratzigen Laken, riesigen Fernsehern, vollen Minibars, Jacuzzis und anonymem Zimmerservice rund um die Uhr.
    Und doch wussten sie, jeder kleinste Hinweis, dass irgendetwas womöglich nicht stimmte, konnte sie verraten. Worauf sie umgehend arbeitslos sein würden. Die Immobilienbranche war auch nicht mehr, was sie mal war – als eine Büroromanze aufflackern konnte und jeder sie süß finden und weggucken würde (um zu tratschen). Büroromanzen, selbst wenn die Büros viele Meilen auseinander lagen, brachten einen heutzutage vors Bundesgericht, weil man den Arbeitsplatz mit verwickelten persönlichen Angelegenheiten belastet und das Leben der Versagerkollegen beeinträchtigt hatte, die besessen davon waren, auf einem boomenden Markt reich zu werden, und nach einer Entschuldigung suchten, warum sie immer alles vergeigten. »Persönlich« war heute ein Begriff, fast schon gleichbedeutend mit »kriminell«. Alle hatten Angst.
    Dementsprechend waren Howard und Frances von verschiedenen Flughäfen angeflogen, Providence und Hartford – und hatten Zimmer in verschiedenen »Towers« verlangt. Howard hatte sogar ein Raucherzimmer bestellt, obwohl er nicht rauchte, und darum gebeten, keine Anrufe durchzustellen. Am ersten Abend, beim Eisbrecher-Empfang im Platin-Club, hatten sie sich unter verschiedene Leute gemischt – Frances stand bei ein paar aufgedrehten lesbischen Maklerinnen aus New Jersey, Howard bei öden Kirchenheinis aus Maine. Danach waren sie in verschiedene Daiquiri-Bars gegangen und in weit voneinander entfernte mexikanische Restaurants, wo sie darauf achteten, nicht zu viel zu trinken und nonstop von ihren Ehepartnern zu erzählen, ohne sich gegenseitig je zu erwähnen, nicht mal Connecticut.
    Mit dem Resultat, dass sie es am Ende des ersten Abends, als Frances um halb zwölf leise an Howards Tür klopfte, bereit zum Abflug, gar nicht so leicht fanden, auf die Schnelle ihre untadelige Öffentlichkeitsmaske abzulegen, und sich deshalb eine Stunde lang in

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