Eine Vielzahl von Sünden
, ein echter Wicht aus dem Volke. Doch konnte Renard ganz fantastisch den Entenruf nachmachen. Deshalb habe ich arrangiert, dass sein Sohn, Herr Renard Junior, mit uns beiden einen Erdsitz aufsucht und einige Tausend Enten zu unserer Ergötzung herbeiruft.« Mein Vater räusperte sich theatralisch wie immer, wenn er so redete – so hochtrabend. »Ich meine natürlich, falls du nicht vollkommen ausgebucht bist«, sagte er und räusperte sich erneut.
»Bin ich aber vielleicht«, sagte ich. Es war schon ein komisches Gefühl, überhaupt mit ihm zu reden. Ab und zu rief er mich in der Militärschule an, wo ich im Geschäftszimmer der Kompanie ans Telefon musste. Natürlich bezahlte er sämtliche Ausbildungskosten, schickte ein Taschengeld und kümmerte sich um die Ausgaben meiner Mutter. Bestimmt bezahlte er auch für William Dubinions Dienste, ganz gleich, welcher Natur sie waren. Er hatte uns zudem das große weiße erhöhte Greek-Revival-Herrenhäuschen in der McKendall Street überlassen, mitten im Villenviertel. (McKendall ist unser Familienname – mein Name. So eine Familie ist das nämlich.) Aber trotzdem war es sehr merkwürdig, sich vorzustellen, dass der eigene Vater mit einem anderen Mann in einer weit entfernten Stadt lebte und anrief, um einen zur Entenjagd einzuladen. Und dann meine Mutter, die gleich im Nebenzimmer saß, zuhörte und rauchte und den States Item las und sich dachte, was immer sie sich dachte. Es war beinahe zu viel für mich.
Und doch wollte ich gern auf Entenjagd gehen, mit dem Boot in die Sümpfe hinausfahren, aus denen das weitläufige brackige Schwemmland im Süden und Osten unserer Stadt besteht. Ich hatte mir immer vorgestellt, das zusammen mit meinem Vater zu machen, wenn ich alt genug wäre. Und jetzt war ich alt genug, auf der Militärschule hatten sie mir beigebracht, mit einem Gewehr zu schießen – allerdings nicht mit einer Schrotflinte. Dazu kam: Als wir an jenem Tag redeten, klang er für mich nicht wie ein Mann, der mit einem anderen Mann in St. Louis lebt. Er klang ziemlich so wie immer, früher in unserem normalen Leben, als ich zur Jesuit High School ging und er eine Anwaltskanzlei im Gebäude der Hibernia Bank hatte und wir eine Familie waren. Irgendetwas in meinem Vater – der Boatwright McKendall hieß und damals erst einundvierzig Jahre alt war –, irgendetwas in ihm muss sich gewünscht haben, die Dinge wären wieder so wie früher, bevor er seiner großen Liebe Dr. Carter begegnete. Obwohl man genauso gut sagen könnte, mein Vater wollte einfach nicht akzeptieren, dass er nicht immer tun konnte, was ihm gerade einfiel; wollte nicht zugeben, dass irgendeine seiner Handlungen zu Kritik oder Groll oder Scheidung oder furchtbarem Skandal führen konnte, dem Ausschluss aus der Kanzlei etwa, die die eigene Familie vor hundert Jahren gegründet hatte und die den Familiennamen trug; oder dass er höchstwahrscheinlich den frühen Tod der eigenen Mutter verschuldet hatte, die an schierer Enttäuschung gestorben war. Und falls doch irgendeine seiner Handlungen jemandem Schwierigkeiten bereitet oder ein Leben ruiniert oder jemanden auf den absteigenden Ast gebracht hatte – na, dann ignorierte er das eben weitgehend oder erklärte sich bereit, es mit Geld wieder gutzumachen, und lebte anschließend nach besten Kräften so weiter, als wäre die Welt rundherum einfach nur großartig und wir könnten alle wunderbare Freunde sein. Genau so funktionierte jene Abwesenheit, die ich vorhin meinte, seine Fähigkeit, nicht dort zu sein, wo er gerade war, und doch für jeden sehr präsent zu wirken, außer für einen besonders geübten Beobachter. Einen Sohn etwa.
»Also, nun aufgepasst, Mr Buck-a-roo«, sagte mein Vater am Telefon, aus St. Louis, wie ich annahm. Buck wurde ich genannt und habe das bis heute beibehalten, um mich von ihm zu unterscheiden (wir tragen denselben Vornamen). Und ich weiß noch, wie nervös ich wurde, als ob ich, wenn ich zusagte, mitzukommen und ihn das erste Mal zu sehen, seit er jene Neujahrsparty im Boston Club verlassen hatte und mit Dr. Carter fortgegangen war – als ob ich durch so etwas vollkommen Natürliches (auf die Jagd gehen) eine Grenze überschritte und mich in Gefahr brächte. Und nicht die Gefahr, an die Sie jetzt vielleicht denken, die auf niederen Instinkten basiert, sondern eine Gefahr, von deren Existenz man gar nichts weiß, bis man sie eines Tages im Bauch fühlt, so als liefe man einen steilen Abhang hinunter und unten wäre ein
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