Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
Vom Netzwerk:
damals aussah, als sich all das ereignete. Mein Vater hat wahrscheinlich sein ganzes Leben lang, bis in seine Sechziger hinein, so ausgesehen. New Orleans bringt Männer wie meinen Vater hervor, früher jedenfalls: Klub-Männer, Racket-Spieler, Gutwetter-Segler, weichhändige Episkopalen mit progressiven Ansichten, guter Bildung, mühelosen Manieren, aber mit Geheimnissen. Wenn du so einem Mann auf dem Bürgersteig oder bei irgendeinem Edeldinner begegnest, wirkt er wie ein typischer Alter Junge, und zwar der allerbeste, dem du je hättest begegnen können. Du willst ihn gleich am nächsten Tag anrufen und irgendwas zusammen aushecken. Es ist, als hättest du immer gewusst, dass es solche Männer in der Stadt gibt, du hast bloß noch nicht so viele davon zu Gesicht bekommen – nur im Vorbeifliegen, ab und zu. Sie wirken exotisch, und dir geht das Herz auf bei dem Gedanken an den Anfang einer langen Freundschaft und daran, dass es mit deinem gesellschaftlichen Leben jetzt aufwärts gehen wird. Also rufst du ihn an und triffst dich auch mit ihm. Du gehst mit ihm bei Pointe à la Hache angeln. Du inszenierst ein Abendessen und lernst seine hübsche Frau kennen. Ihr trefft euch zu einem langen Lunch bei Antoine’s oder Commander’s, und du beschließt, das von nun an jede Woche bis ans Ende aller Zeiten zu tun. Aber irgendwann gegen Ende des Lunchs gerätst du an einen toten Punkt. Ein Moment der Stille tritt ein, und ihr tauscht einen Blick, der ein tiefes menschliches Einverständnis bedeuten könnte, so tief, dass man nie im Leben darüber sprechen müsste. Aber dann erkennst du plötzlich – plötzlich und flüchtig nur –, dass dieser Mann ganz, ganz weit von dir entfernt ist, so weit, dass er es nicht einmal merkt. Ein Lächeln könnte über sein Gesicht huschen. Vielleicht hat er gerade etwas Charmantes oder Sarkastisches oder schmeichelhaft Persönliches zu dir gesagt. Doch dann dämmert dir das »ganz, ganz weit entfernt«, und du begreifst, dass du ihm gar nichts bedeutest und ihn wahrscheinlich nicht einmal wiedersehen, geschweige denn dich darum bemühen wirst. Oder, wenn du ihn zufällig siehst, wirst du mitten im Block die Straße überqueren, in überfüllten Restaurants nach Hinterausgängen suchen, länger als nötig auf dem Fahrersitz deines Wagens sitzen bleiben, damit der Mann um die Ecke gegangen oder in ebendem Gebäude verschwunden ist, das ich gerade erwähnte. Du meidest ihn. Und nicht weil irgendetwas an ihm nicht stimmt oder er etwas Unappetitliches oder Schiefes an sich hat. Etwas Sexuelles. Nein, du weißt einfach, dass er nichts für dich ist. Und das setzt der Sache ein Ende. Eigentlich ganz einfach. Natürlich ist es etwas komplizierter, wenn der fragliche Mann dein Vater ist.
    Als ich also ans Telefon kam – meine Mutter war drangegangen und hatte einige dürre Worte mit meinem Vater gewechselt –, redete er gleich los: »Na, mal sehen: Van Cliburn oder Mickey Mantle?« Das waren zwei Helden der damaligen Zeit, von denen ich, als mein Vater noch zu unserem Leben gehörte, unablässig geredet hatte und die ich abwechselnd gern gewesen wäre. Inzwischen hatte ich sie längst vergessen.
    »Weder noch«, sagte ich. Ich stand in der großen Diele, wo das Telefon in einer Nische stand. Durch die Glastür konnte ich nach draußen sehen, wo William Dubinion in dem Schlangenbartgras am Rand des Kamelienbeetes meiner Mutter kniete. Tolle Situation, dachte ich, da starrst du den farbigen Freund deiner Mutter an, während du mit deinem Vater in seiner weit entfernten Stadt telefonierst, wo er so lebt, wie er jetzt lebt. »Natürlich«, sagte mein Vater. »Was kümmern uns die Helden vom letzten Jahr.«
    »Es ist länger her«, sagte ich. Meine Mutter machte ein Geräusch im Nebenzimmer. Ich atmete ihren Zigarettenrauch ein, vernahm das Knistern der Zeitung. Sie hörte alles, und ich wollte meinem Vater gegenüber nicht freundlich klingen. Ich hielt ihn ohnehin für einen Dreckskerl.
    »Nun denn, pass auf, Buck Rogers«, fuhr mein Vater fort. »Ich rufe in einer Angelegenheit an, die für die Zukunft der Menschheit von Bedeutung ist. Ich wüsste gern, ob dir eventuell daran gelegen wäre, in den sagenumwobenen Grand-Lake-Sümpfen auf Entenjagd zu gehen. Will sagen, mit mir. Ich habe in zwei Tagen einen Termin bei meinem Anwalt in der Stadt. Mein uralter Vater verfügte ja über einen vertrauenswürdigen Gefolgsmann der Familie mit Namen Renard Theriot, das war ein übel beleumundeter alter Yat

Weitere Kostenlose Bücher