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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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tiefer Fluss oder ein Canyon und man wüsste, man kann nicht anhalten. Diese Gefahr hieß Enttäuschung, das weiß ich heute. Aber ich wollte, was ich wollte, und hatte nicht vor, mich von so einem Gefühl abhalten zu lassen.
    »Übrigens sollst du wissen«, sagte mein Vater, »dass ich das mit deiner Mutter geklärt habe. Sie findet die Idee wunderbar.«
    Ich stellte mir seine gelben Haare vor, sein gut aussehendes, jugendliches, faltenloses Gesicht, wie er angeregt in den Hörer plauderte, in einem eleganten, sonnigen Zimmer mit hohen Decken, neben einem teuren französischen Tisch mit irgendwelchen ausgesuchten Kunstobjekten drauf, die er beim Sprechen in die Hand nahm und musterte. In meiner Vorstellung trug er eine violette Smokingjacke und freute sich an dem, was er tat. »Kommt sonst noch wer mit?«, fragte ich.
    »Gott, nein«, lachte mein Vater. »Wer denn? Francis ist für Entenjagd zu vornehm. Er hätte Angst um seine hübschen blauen Augen. Nicht wahr, Francis?«
    Die Vorstellung, dass Dr. Carter dort direkt neben ihm stand und zuhörte, schockierte mich. Natürlich hörte hier die ganze Zeit meine Mutter zu.
    »Nur du und ich und Renard Junior«, sagte mein Vater, und seine Stimme ging vom Hörer weg. Da hörte ich eine zweite Stimme, eine weiche, kultivierte Stimme, die irgendetwas äußerte, dort, wo mein Vater war, vermutlich einen ironischen Kommentar zu unseren Plänen. »Herrgott noch mal«, sagte mein Vater mit einer ärgerlichen Stimme, die ich ebenso wenig kannte wie die von Dr. Carter. »Lass bitte solche Bemerkungen. Das gehört nicht hierher. Ich rede hier mit Buck.« Die Stimme sagte noch etwas, und vor meinem geistigen Auge sah ich Dr. Carter plötzlich in einem sehr ungünstigen Licht, das ich besser gar nicht erst beschreibe. »Also, Commander Rogers, am Donnerstag früh um vier raffst du deine müden Knochen auf«, sagte mein Vater wieder in seinem hochtrabenden Ton. »Enten sind Frühaufsteher. Ich hol dich vor deinem Haus ab. Zieh dir Stiefel an, lange Unterhosen und nichts Buntes. Ich sorge für die Artillerie.«
    Es kam mir seltsam vor, dass mein Vater das große Haus, wo wir alle zusammengelebt hatten und wo seit dem Bürgerkrieg auch sein Vater und Großvater gewohnt hatten, als mein Haus bezeichnete. Ich empfand es nicht als mein Haus. Höchstens als das Haus meiner Mutter, denn sie hatte ihn darin geheiratet und es dann bei ihrer hastigen Scheidung bekommen.
    »Ach übrigens, wie läuft’s denn in der Schule«, sagte mein Vater zerstreut.
    »Wie läuft was?« Ich war so überrascht, danach gefragt zu werden. Mein Vater klang durcheinander, als hätte er gerade etwas gelesen und die Stelle auf der Seite verloren, wo er war.
    »Die Schule. Weißt du? Noten? Hast du lauter Einsen gekriegt? Solltest du. Du bist fix. Jedenfalls mit dem Mundwerk.«
    »Ich kann die Schule nicht leiden«, sagte ich. An der Jesuit hatte es mir gefallen, dort hatte ich Freunde. Aber dann zwang mich meine Mutter, nach Sandhearst zu wechseln, weil die Sache mit meinem Vater so ein Aufsehen erregt hatte. Dort hatten wir Khakiuniformen mit einem blauen Streifen außen an den Hosenbeinen, dazu steife blaue Pförtnermützen. Ich kam mir die ganze Zeit albern vor.
    »Na egal, wen juckt’s«, sagte mein Vater. »Du wirst genauso nach Harvard kommen wie ich.«
    »Wie denn?«, fragte ich, denn selbst mit fünfzehn wollte ich schon nach Harvard.
    »Übers Aussehen«, sagte mein Vater. »So kommen wir Südstaatler immer durch. Das ist eine höhere Form von Intelligenz. Wenn du das einmal begriffen hast, ist der Rest ziemlich einfach. Die Welt will sich nach dem Aussehen richten. Grips kommt nur zum Einsatz, wenn kein Aussehen verfügbar ist. Frag deine Mutter. Deshalb hat sie mich geheiratet, was sie besser hätte lassen sollen. Heute wird sie das zugeben.«
    »Bestimmt tut es ihr Leid«, sagte ich. Ich dachte daran, dass meine Mutter einer Hälfte unseres Gesprächs zuhörte.
    »O ja. Ganz bestimmt, Buck. Es tut uns allen ein bisschen Leid, jetzt . Das kann ich bezeugen.« Die andere Stimme sagte wieder etwas, und wieder mit ironischem Unterton. »Ach, halt du den Mund«, sagte mein Vater. »Lass dieses Gerede und halt dich da raus. Ich seh dich am Donnerstagmorgen, Junge«, sagte mein Vater und legte auf, bevor ich antworten konnte.
    Dieses Gespräch mit meinem Vater fand statt am Montag, dem achtzehnten Dezember, drei Tage vor der geplanten Entenjagd. An den Tagen bis dahin ging mir meine Mutter meist aus dem

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