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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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das wohl sein muss, sich mit einem anderen Mann einzulassen, der gesellschaftlich auf derselben Stufe steht«, sagte meine Mutter und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das auf Anregung Dubinions gerade frisch aschblond gefärbt und zu einem adretten Bob geschnitten worden war. Der Vater meiner Mutter hatte eine Apotheke auf der Prytania Street gehabt und war zu Geld gekommen, indem er sich um das Wohlergehen reicher Familien wie der McKendalls kümmerte. Sie war nach Newcombe gegangen, hatte sich hochgeheiratet und sich dann mit Leichtigkeit in die Gesellschaft eingefügt, der mein Vater sie vorstellte (obwohl ich nie glaubte, ihr hätte wirklich an der Gesellschaft von New Orleans gelegen, so oder so – anders als meinem Vater, dem sie wichtig genug war, um ihr ins Gesicht zu spucken).
    »Ich gehe immer davon aus«, sagte sie, »dass solche Eskapaden normalerweise mit jemandem stattfinden, der unter einem steht. Mit einem Packer oder einem Handtuchpagen im Klub.« Sie betrachtete Dubinion. Ihrer Meinung nach gehörte er wohl zu der Kategorie, die unter einem steht. Sie und mein Vater waren zwanzig Jahre lang verheiratet gewesen, und mit neununddreißig hatte sie Dubinion in ihr Leben treten lassen, um jede Spur davon zu tilgen, wie sie bislang ihre Affären geführt hatte. Jetzt, wo ich das erzähle, wird mir klar, dass sie und Dubinion bestimmt gerade miteinander geschlafen hatten und er den verträumten Nachhall genoss, indem er halbnackt draußen auf unserem Picknicktisch lag, während sie allein im Pyjama durchs Haus schlenderte und schließlich bei mir landete. Trauriger Gedanke, dass sie etwas über ein Jahr später, als ich gerade anfing, mich einigermaßen in Lawrenceville einzuleben, schon nicht mehr war. Wenn ich jetzt an sie denke, ist es, als hörte ich die Toten sprechen.
    »Aber das werfe ich deinem Vater nicht vor. Jedenfalls nicht das mit einem Mann «, sagte meine Mutter. »Andere Dinge natürlich schon.« Sie drehte sich um, dann trat sie an mir vorbei und ließ sich in die gestreiften Kissen des Korbsessels neben meinem fallen. Sie setzte ihre Milch ab und nahm meine Hand in ihre kühlen Hände und hielt sie in ihrem Schoß an ihr seidiges Bein. »Was wäre, wenn ich eine sehr gute Sängerin würde und auf Tournee gehen müsste und in Chicago und New York und womöglich Paris auftreten würde? Wäre das in Ordnung? Du könntest kommen und mich sehen. Du könntest deine Schuluniform tragen.« Sie schürzte die Lippen und warf wieder einen Blick in den Garten hinter sich, wo William Dubinion auf dem Picknicktisch drapiert lag wie ein Pharao.
    »Das würde mir keinen Spaß machen«, sagte ich. Das war keine Lüge. Sie ging abends aus und machte sich zum Gespött, und das war mir peinlich und machte mir Angst. Ich hatte nicht vor zu behaupten, alles sei gut so. Es war eine Katastrophe und würde sich auch bald als solche erweisen.
    »Nein?«, sagte sie. »Du würdest nicht kommen und mich beim Auftritt im Quartier Latin sehen wollen?«
    »Nein«, sagte ich. »Niemals.«
    »Tja.« Sie ließ meine Hand los, schlug die Beine übereinander und stützte das Kinn auf eine Hand. »Damit muss ich wohl leben. Vielleicht hast du ja Recht.« Sie sah sich nach ihrem Glas Milch um, als hätte sie vergessen, wo sie es gelassen hatte.
    »Welche anderen Dinge wirfst du ihm denn vor?«, fragte ich und meinte meinen Vater. Das mit dem Mann schien mir mehr als genug.
    »Oh«, sagte meine Mutter, »sind wir jetzt wieder bei ihm? Na, sagen wir einfach, ich werfe ihm sein ganzes Wesen vor. Und nicht meinetwegen, sondern deinetwegen. Er hätte den Laden hier beisammen halten können. Andere Männer tun das. Es ist überhaupt kein Problem, Liebhaber egal welcher Sorte zu haben. Insofern ist er nicht schlechter als viele andere Männer. Aber das werfe ich ihm vor. Ich hatte eigentlich noch gar nicht richtig darüber nachgedacht. Letzten Endes ist er aber kein bisschen besser als die meisten Männer. Und das ist in der Ehe ein Kapitalverbrechen. Du musst noch ein bisschen erwachsener werden, um das zu verstehen. Aber du wirst es verstehen.«
    Sie nahm ihr Glas Milch, stand auf, zog die weiße Pyjamahose um ihre schmale Taille hoch und ging ins Haus zurück. Kurz darauf hörte ich eine Tür knallen, dann erklang ihre Stimme und die Dubinions, und ich wandte mich wieder meinen Vorbereitungen für Lawrenceville und die Rettung meines Lebens zu. Obwohl ich schon glaube, dass ich wusste, was sie meinte. Sie meinte, dass mein

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