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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Schritten Entfernung beobachtete. Sie hielt einen roten Nylonrucksack an den Trägern. Irgendetwas ließ sie auf Abstand bleiben. Womöglich ein Zeichen ihres Vaters, nicht herzukommen. »Natürlich«, sagte ich. Und durch mein Sprechen brachte ich das Gesicht des Mädchens irgendwie dazu, in ein breites Lächeln auszubrechen, ein Lächeln, das ich wiedererkannte.
    »Hier ist nichts passiert«, sagte Mack unerwartet zu mir, obwohl er zu seiner Tochter starrte. Er hatte aus der Tasche seines Mantels eine kleine weiße Schachtel gezogen, verpackt und mit einer roten Schleife geschmückt.
    »Wie bitte?« Die Menschen umwirbelten uns lärmend. Die Musik schien lauter geworden zu sein. Ich war im Gehen, aber vielleicht hatte ich ihn falsch verstanden, dachte ich. »Ich habe Sie nicht verstanden«, sagte ich. Ungewollt lächelte ich.
    »Heute ist nichts passiert«, sagte Mack Bolger. »Sie brauchen nicht zu glauben, hier wäre irgendwas passiert. Zwischen Ihnen und mir, meine ich. Nichts ist passiert. Ich bedaure, dass ich Ihnen jemals begegnet bin, das ist alles. Ich bedaure, dass ich Sie jemals anfassen musste. Ihretwegen schäme ich mich.« Immer noch diese unglückliche feuchte Aussprache beim S.
    »Tja«, sagte ich. »Na gut. Das kann ich verstehen.«
    »Ach so?«, sagte er. »Sehr gut, das ist sehr gut.« Dann ging Mack einfach weg und sagte etwas zu dem blonden Mädchen, das lächelnd in der Menge stand. Und zwar: »Wow-ee, Jungejunge, siehst du aber um-wer-fend aus!«
    Und ich ging weiter Richtung Billy’s, zu meinem neuen Arrangement, das mich bis zum Abend beschäftigen würde. Bezogen auf die Verbindung zwischen den Situationen hatte ich mich natürlich geirrt: was vorbereitend und was vorrangig war. Diesen Fehler würde ich nicht wieder machen. Ich konnte zu gar nichts, was ich getan hatte, stehen. Und obwohl das hier eine so große Stadt war, viel größer als, sagen wir, St. Louis, wusste ich, dass ich ihn nie wieder sehen würde.

WELPE
    D
er letzte Frühling hatte gerade begonnen, da setzte jemand einen Welpen bei uns hinten in den Garten und holte ihn nicht wieder ab. Damals musste ich jede Woche hoch nach St. Louis pendeln, und meine Frau engagierte sich intensiv beim Aids-Marathon, der ironischerweise mit dem jährlichen Steuer-Stichtag in New Orleans zusammenfällt; meistens gibt er Anlass für viele Unstimmigkeiten, die aber durch guten Willen und Hingabe unweigerlich früher oder später überwunden werden.
    Ich erwähne das als Erstes, um zu erklären, warum unser Haus oft tagsüber leer war, was es demjenigen, der den Welpen bei uns aussetzte, leicht machte. Wir wohnen im begehrten historischen Viertel in einem Eckhaus. Es ist groß und alt und auffällig – typisch fürs French Quarter –, und das Gartentor liegt ein ganzes Stück von der Hintertür entfernt, die durch dichte Ligusterbüsche sichtgeschützt ist. Kein Problem, einen Welpen über das Eisengitter zu setzen und sich unbemerkt davonzuschleichen, und genau das hatte derjenige genutzt.
    »Das waren diese Halbstarken«, sagte meine Frau und verschränkte die Arme. Sie stand mit mir an der Terrassentür und starrte den Welpen an, der auf dem Backsteinweg hockte und uns mit unverschämter Neugier anstarrte. Er war klein und hatte glänzendes kurzes Drahthaar, zum größten Teil weiß, mit ein paar schwarzen Dreiecken auf der Seite. Im Stehen reckte er seinen Schwanz hellwach in die Höhe, was darauf schließen ließ, dass vielleicht mal ein Pointer im Stammbaum gewesen war. Ich schätzte ihn auf drei Monate, ohne genau zu wissen, wieso, obwohl seine Beine lang waren und seine Füße größer, als man erwartet hätte. »Die hier im Viertel rumlaufen und lauter Schwarz tragen«, sagte Sallie. »Wie auch immer man die nennt. Überall durchstochen und lächerlich. Sie hocken in den Hauseingängen. Immer einen Hund am Seil dabei.« Sie tippte mit einem Fingernagel an die Fensterscheibe, um die Aufmerksamkeit des Welpen wieder auf sich zu ziehen. Er hatte angefangen, sich ausgiebig hinterm Ohr zu kratzen, hielt aber inne und richtete seine dunklen kleinen Augen erneut auf die Tür. Er hatte einen roten Kehrbesen aus Plastik unter der Hintertreppe hervorgezerrt, und der lag jetzt mitten im Garten. »Wir müssen ihn loswerden«, sagte Sallie. »Armes Ding. Diese verdammten Kids haben ihn satt. Und haben ihn bei uns abgeladen.«
    »Ich werde versuchen, ihn unterzubringen«, sagte ich. Ich war gerade mal fünf Minuten aus St. Louis zurück und

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