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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Moment ohne Dimension und Widerhall, einen Kontakt, der in jeder anderen Hinsicht unwichtig war. Das Leben bietet solche Momente selten genug – wo es ansonsten vom Vorhersagbaren und Obligaten so aufgebraucht wird.
    Ich wusste einiges über Mack Bolger und sein Leben, seit wir damals halbwegs gewalttätig im Mayfair zusammengestoßen waren. Beth hatte es mir bei unserem erbärmlichen Treffen in der Espalier Bar im April nur zu gern erzählt. Unsere – also Beths und meine – Affäre war natürlich nur eine Facette des langen Verfalls und Niedergangs ihrer Ehe. Das war mir immer klar gewesen. Es gab zwei Kinder, und Mack hatte sich panisch darum bemüht, die Familie zusammenzuhalten, um ihr Wohlergehen und ihre Zukunft nicht zu gefährden; Beth arbeitete als Porträtfotografin, zu Hause, hatte aber Sehnsucht nach der großen weiten Welt außerhalb von University City/St. Louis – und zwar in der schlimmsten Weise. Deshalb war sie grundsätzlich unzufrieden mit allem in ihrem Leben. Nach meinem abrupten Abgang zog sie zu Hause aus, nahm sich eine Wohnung in der Nähe vom Gateway Arch und, für eine Zeit lang, einen weitaus jüngeren Geliebten. Macks Anteil an den Neuerungen bestand darin, seinen Angestelltenposten bei einer großen Firma für landwirtschaftliche Produkte aufzugeben, das Priesterstudium zu erwägen, Missionarsarbeit im Senegal oder in Französisch-Guyana zu erwägen und sich vorübergehend auch eine junge Geliebte zu nehmen. Eins der Kinder war wegen Ladendiebstahls festgenommen, das andere von der Brown University aufgenommen worden. Über Monate gab es nächtelange Auseinandersetzungen, einige davon kämpferisch, andere liebevoll und erkenntnisreich, wieder andere verächtlich von beiden Seiten. Bis alles, was gesagt, ausgedrückt oder gedroht werden konnte, gesagt, ausgedrückt und gedroht worden war, woraufhin ein Waffenstillstand erzielt wurde: Sie blieben beide in ihrem Vorstadthaus, hatten getrennte Tagespläne, trafen sich mit neuen und anderen Freunden, aßen gelegentlich zusammen zu Abend, gingen in die Oper, ja schliefen sogar gelegentlich miteinander, hatten aber wenig Hoffnung (Beth jedenfalls nicht), dass die Dinge besser würden als zur Zeit unseres freudlosen Treffens und des O’Neill-Stücks. Damals ging ich davon aus, dass Beth sich noch am selben Abend mit jemand anderem treffen würde, also jemanden in New York hatte, für den sie sich interessierte, und hatte keinerlei Problem damit.
    »Ist doch komisch, oder?«, sagte Beth und strich mit ihrem langen, nahezu reinweißen Finger fast über die Oberfläche ihres Kir Royal, wobei sie nicht mich, sondern den Glasrand anstarrte, dessen gläserne Grenze beinahe von der rosa Flüssigkeit überschritten wurde. »Für kurze Zeit waren wir einander so nah.« Sie hob die Augen zu mir und lächelte fast mädchenhaft. »Du und ich, meine ich. Jetzt habe ich das Gefühl, ich würde all das einem alten Freund erzählen. Oder meinem Bruder.«
    Beth ist eine aufgeschossene, blasse, großknochige, aschblonde Frau, die Zigaretten raucht und deren Haare ihr oft in die Augen hängen wie bei den Glamourgirls aus dem Hollywood der vierziger Jahre. Das kann attraktiv sein, sieht aber oft so aus, als würde sie ihre eigenen Gespräche belauschen.
    »Tja«, sagte ich, »schon in Ordnung, dieses Gefühl.« Ich schickte ihr das Lächeln über den kleinen runden Cafétisch mit der schwarzen Platte zurück. War es ja auch. Ich hatte weitergelebt. Wenn ich auf das zurückschaute, was wir getan hatten, sah ich darin – abgesehen von der eigentlichen Bettgeschichte – keinen besonderen Grund zur Freude oder zum Resümee, es sei die Erfahrung wert gewesen. Aber ungeschehen machen konnte ich es auch nicht. Ich glaube nicht, dass man die Vergangenheit reparieren kann, nur überwinden. »Manchmal sehnt man sich bei so was doch nur nach Freundschaft«, sagte ich. Obwohl, ich geb’s zu, geglaubt habe ich daran eigentlich kein bisschen.
    »Mack ist wie ein Hund, weißt du«, sagte Beth und schnippte sich die Haare aus den Augen. An ihn dachte sie. »Ich gebe ihm einen Tritt, und er will mir irgendwas bringen. Lächerlich. Er interessiert sich jetzt sehr für tantrischen Sex, was immer das ist. Hast du eigentlich eine Ahnung, was das ist?«
    »Ich höre eigentlich gar nicht gern, wie du redest«, sagte ich dumm, obwohl es stimmte. »Es klingt so grausam.«
    »Du hast bloß Angst, dass ich dasselbe von dir sagen könnte, Johnny.« Sie lächelte und berührte ihre

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