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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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sicher.«
    »Nein«, sagte ich. »Nicht ganz genauso. Aber fast.«
    »Es gibt nur einen Großen Wagen«, sagte sie und fing an zu lachen.
    »So weit wir wissen und bis jetzt. Stimmt.«
    Diesen Wortwechsel führe ich nur an, um zu illustrieren, wie unser Zusammenleben funktioniert – was uns wichtig erscheint und was nicht. Und wie wir potenziell schwierige Angelegenheiten sorglos trällernd vergessen können.
    Am Nachmittag, als der Welpe auftauchte, setzte ich mich an den lederbezogenen Schreibtisch im Esszimmer, wo ich normalerweise den Papierkram erledige, und malte sorgfältig eines jener handschriftlichen Schilder, die man an Telefonmasten oder in der Wäscherei am schwarzen Brett sieht, neben Reklamezetteln für neue Massagetherapien, schwules Gesundheitsbewusstsein und Rockkonzerte in der näheren Umgebung. WELPE stand mit schwarzem Filzstift auf meinem Blatt, danach dann die üblichen Angaben, meine Bürotelefonnummer und das Datum (23. März). Das kopierte ich fünfundzwanzigmal auf Sallies Kopierer. Dann suchte ich den Tacker, mit dem sie die Aids-Marathon-Poster aufhängte, ging nach oben, wo ich einen alten geflochtenen Ledergürtel aus meinem Schrank holte, und schließlich in den Garten, um den Welpen mitzunehmen. Ich fand es gut, ihn mitzunehmen, während ich die Zettel aufhängte, in denen es um ihn ging. Irgendjemand erkannte ihn vielleicht oder schaute ihn einfach an und sah, dass er hübsch und zu haben war, und wollte ihn dann auch gleich. So was passiert, zumindest theoretisch.
    Als ich ihn fand, schlief er hinter dem Liguster in der äußersten Ecke des Gartens. Er hatte sich in die backsteinbraune Erde hineingearbeitet und -gekratzt und -gescharrt und lag nun in einer Kuhle, die tief genug war, um die Hälfte seines kleinen Körpers aufzunehmen und zu verbergen. Er hatte außerdem Ligusterzweige abgebrochen und Blätter abgerissen und so lange an den Zweigstummeln herumgekaut, bis der Busch hinüber war.
    Als er mich näher kommen hörte, duckte er sich flach in sein Loch und knurrte sein kleines Welpenknurren. Dann setzte er sich jäh im Dreck auf und bellte mich so aggressiv an, dass ich, wäre er ein großer Hund gewesen, erschrocken auf Abstand gegangen wäre.
    »Kleiner?«, sagte ich, es sollte einfühlsam klingen. »Komm raus.« Ich hatte noch meine Anzughosen und mein weißes Hemd mit Krawatte an – die Sachen, die ich vor Gericht trage. Der Welpe knurrte und bellte weiter, zog sich zentimeterweise hinter den ramponierten Liguster zurück, bis er im Schatten der Backsteinmauer hockte, die uns von der Straße trennt. »Kleiner?«, sagte ich wieder, geduldig, schmeichelnd, und beugte mich zwischen die dicken grünen Blätter. Ich hatte meinen Gürtel zu einer Schlinge gelegt, bückte mich nach vorn und zog ihn über seinen Kopf. Doch er kroch noch weiter zurück, als er das Gewicht der Schnalle spürte, und fing unerwartet an zu jaulen – ein Jaulen, das wie ein menschlicher Ruf war. Und dann drehte er sich um und fing an, mit den Klauen die Backsteine hochzuklettern, kratzend und springend, seine Pfoten scharrten, sein hässlicher Schwanz zuckte, und zugleich fing er an zu pinkeln, bis die Backsteine von seinem heißen, panischen Urin befleckt waren.
    Was mich natürlich den Mut verlieren ließ, denn es kam mir grausam vor, ihn mitzuzerren, selbst wenn es zu seinem Besten war. Wem er auch immer gehört haben mochte, ganz offensichtlich war sein Herrchen nicht gut zu ihm gewesen. Dieser Hund traute den Menschen nicht, obwohl er uns brauchte. Ihn jetzt auf die Straße zu zerren, hätte ihn nur noch schlimmer verschreckt und jeden davon abgebracht, ihn mit nach Hause zu nehmen und ihm ein besseres Leben zu geben. Da blieb er lieber hier, fand ich. In unserem Garten war er sicher und hatte ein paar Stunden Ruhe und Frieden.
    Ich streckte die Hand aus und wollte den Gürtel wieder lösen, aber da bleckte er die Zähne und schnappte zu und hätte mit seinem kleinen weißen Schneidezahn beinah meinen Daumen erwischt. Ich beschloss, die ganze Aktion einfach zu vergessen und meine Zettel allein aufzuhängen.
    Im Nu hatte ich sie alle angetackert – in der Wäscherei in der Barracks Street, in dem schwulen Deli, vor der französischen Patisserie, im Café und in dem Laden mit den nicht jugendfreien Magazinen in der Decatur Street. Ich klapperte sämtliche Telefonmasten im Umkreis von vier Blocks ab. Auf mehreren davon und auf jedem schwarzen Brett sah ich, dass es nicht wenige verlorene

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