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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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sehen, der auf einem Weizenfeld stand und einen toten Fasan im Maul hatte. Zwei Mädchen im Schulalter hielten die Stellung, und eines half Sallie beim Ausfüllen der Papiere. Diese Mädchen waren zweifellos tierlieb und machten diesen Job nach der Schule, weil sie davon träumten, Tierärztinnen zu werden. Auf einem Schild an der Wand hinter den Schreibtischen stand Die Unterbringung von Welpen ist unser höchstes Ziel . Das hing da, dachte ich, damit Leute wie ich sich besser fühlten, wenn sie einen Hund hier ablieferten. So vergaß es sich leichter.
    Sallie war über einen der Tische gebeugt, während sie ein dickes grünes Dokument ausfüllte, und drehte sich gerade nach mir um, als eine ältere Frau mit strengem Gesicht in einem weißen Laborkittel und schwarzen Gummistiefeln durch eine Seitentür kam. Ihr kleines Gesicht und ihre Hände waren aufgedunsen, aber auch ledrig, wie es die Haut der Frauen im Süden oft wird – zu viel Sonne und Alkohol, zu viele Zigaretten. Ihr Haar war dicht und von einem stumpfen Rotbraun und hing ihr schwer ums Gesicht, was ihren Kopf noch kleiner aussehen ließ als ohnehin schon. Diese Frau war allerdings überaus freundlich und lächelte viel, obwohl ich ihrem Aussehen und ihrer Kleidung einfach ansehen konnte, dass sie keine Tierärztin war.
    Ich stand da und hielt den Käfig, bis eins der Schulmädchen um ihren Tisch herumkam und hineinschaute und sagte, der Welpe sei süß. Er bellte, und der Käfig in meiner Hand geriet ins Schaukeln. »Wie heißt er?«, fragte sie und lächelte verträumt. Sie war ein plump gebautes Mädchen, sehr blass, mit einem nach außen schielenden Auge. Ihre Fingernägel waren leuchtend orange lackiert und sahen ungepflegt aus.
    »Wir haben ihm keinen Namen gegeben«, sagte ich, langsam fühlte sich der Käfig unhandlich an.
    »Das tun wir dann«, sagte sie und steckte ihre Finger durch das Drahtgitter. Der Welpe hieb nach ihr, dann leckte er ihre Fingerspitzen und jaulte auf, als sie ihren Finger zurückzog.
    »Sie bringen fünfundsechzig Prozent ihrer Schützlinge unter«, sagte Sallie über die Formulare hinweg zu mir.
    »Schade, dass nich Feiertage sind«, sagte die Frau in dem Laborkittel mit rauer Stimme und sah Sallie beim Ausfüllen zu. Sie sprach wie jemand von der anderen Seite des Atchafalaya, jemand, der früher Französisch gesprochen hatte. »Zu Weihnachten is das hier drinnen ne Geisterstadt, ja.«
    Die Helferin, die mit dem Welpen gespielt hatte, ging durch die Tür auf einen langen Betonkorridor voll halbdunkler Käfige mit Metallgittern. Sofort fingen die Hunde wieder an zu bellen, und der üble Tiergestank drang fast schockierend in den Raum ein. Ein seltsamer Arbeitsplatz, dachte ich.
    »Wie lange behalten Sie sie?«, fragte ich und setzte den Käfig des Welpen auf dem Betonboden ab. Jenseits der Tür bellte es weiter, vor allem ein Hund, der sich anhörte, als wäre er besonders groß, obwohl ich ihn nicht sehen konnte. Eine große gelbe Katze mit Tigermuster, die offenbar im Büro frei herumlaufen durfte, huschte über den Schreibtisch, wo Sallie immer noch schrieb, und rieb sich an ihrem Arm, was sie zum Stirnrunzeln brachte.
    »Fünf Tage«, sagte die Cajun-Frau mit dem aufgedunsenen Gesicht und lächelte, amüsiert sah es aus. »Wir versuchens ja, se unterzubringen. Die ganze Zeit kommen Leute vorbei und gucken. Welpen gehen schnell weg, falls nich was mit ihnen nich stimmt.« Ihre Augen suchten den Käfig am Boden. Sie lächelte den Welpen an, als könnte er sie verstehen. »Süß biste«, sagte sie und machte ein trockenes Kussgeräusch.
    »Was ist denn normalerweise das Problem?«, fragte ich, und Sallie drehte sich nach mir um.
    »Zu aggressiv«, sagte die Frau und äugte wohlwollend zu dem Welpen hinein. »Und wenn se nich stubenrein werden, werden se zurückgebracht. Was nich so gut is.«
    »Vielleicht haben sie nur Angst«, sagte ich.
    »Paar vielleicht. Aber andere sind einfach kleine Naturtalente. Die sind nach einer Stunde weg.« Sie bückte sich, Hände auf ihren Kittelknien, und schaute unseren Welpen an. »Und du?«, sagte sie. »Biste n kleines Naturtalent? Oder n kleiner Racker? Ich glaube, ich seh n kleinen Racker da drinnen.« Der Welpe saß auf dem Drahtboden und starrte sie gleichgültig an, genau wie er mich angestarrt hatte. Ich dachte, gleich bellt er bestimmt, aber er ließ es.
    »Das war’s«, sagte Sallie, wandte sich mir zu und versuchte einen lieben Blick. Sie steckte ihren Stift in die

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