Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
Vom Netzwerk:
Kombination darstellten. Er hatte sich vorgenommen, beides bei Packard-Wells zu erproben.
    Doch einen kurzen erschreckenden Augenblick lang, als er umschlossen von dem kühlen Halbdunkel dasaß und spürte, dass es ihm die Sprache verschlagen hatte, geriet er in eine Art dämmerigen Fugue-Zustand – oder schlitterte beinahe hinein – und befürchtete, er könnte vielleicht nie wieder ein Wort sagen; etwas (Arbeitsüberlastung, Schock, Enttäuschung über Marjories Geständnis) brächte ihn dazu, sich von der Realität zu lösen und aus der Gegenwart zu rutschen, ja, er wäre dabei, den Verstand zu verlieren und wahnsinnig zu werden, und zwar dermaßen, dass er womöglich anfinge, wie ein Schimpanse zu schnattern, oder dass er einfach langsam seitwärts an die gepolsterte Tür sackte und eine lange, lange Zeit nicht spräche – monatelang –, und dann, dank irgendwelcher Drogen, bloß einfachste Sätze sagen könnte, die so kryptisch klingen würden, dass ihn am Ende die Familie seiner Mutter in Damariscotta pflegen müsste. Entsetzliche Vorstellung.
    Um das zu vermeiden – um sein Leben und seinen klaren Verstand zu retten –, sagte er abrupt ein Wort, irgendein Wort, das er in das duftende Dämmerlicht hinein sagen konnte, in diesem Auto, wo seine Frau natürlich seine Antwort auf ihr unglückliches Geständnis erwartete.
    Und aus irgendeinem Grund lautete das Wort, genauer gesagt, der Ausdruck, den er von sich gab, »unerwünschte Bodenechos«. Etwas, das er im Fernseh-Wetterbericht gehört hatte, als sie sich zum Abendessen umzogen.
    »Hm?«, sagte Marjorie. »Wie bitte?« Sie wandte ihm ihr hübsches Gesicht mit den kleinen Zügen zu, so dass ihre Perlenohrringe das Licht einfingen, das von irgendwoher kam. Sie trug ein winziges grünes Cocktailkleid und grüne Satinschuhe, die ihre unglaublich schlanken Knöchel und schmalen nackten gebräunten Waden betonten. Sie trug zwei kleine passende grüne Spangen im Haar. Sie roch süß.
    »Ich weiß, dass du das nicht unbedingt hören wolltest, Steven«, sagte sie. »Aber ich hatte das Gefühl, ich sollte es dir sagen, bevor wir bei George eintreffen. Bei Nicholsons, meine ich. Es ist vorbei. Es wird nie wieder passieren. Das verspreche ich. Keiner wird es je erwähnen. Ich war letztes Jahr nach dem Umzug einfach so durcheinander. Es tut mir Leid.« Sie hatte einen kleinen Kirchturm aus ihren Fingerspitzen gebildet, als hätte sie sich sehr konzentriert, während sie diese Worte sagte. Aber jetzt legte sie ihre Hände wieder ruhig in ihren minzgrünen Schoß. Sie hatte das Kleid extra für diesen Abend bei den Nicholsons gekauft. Sie hatte gedacht, dass es George gefallen würde, und Steven auch. Sie wandte ihr Gesicht ab und stieß einen kleinen, aber hörbaren Seufzer in dem Auto aus. In diesem Augenblick schalteten sich die Scheinwerfer automatisch ab.
    George Nicholson war ein schwerer, Squash spielender Yale-Anwalt mit mächtiger Brust und haarigen Armen. Er hatte ein Hinckley-61-Boot in Essex liegen, das er eigenhändig segelte, und zog sich seit seinem fünfzigsten Geburtstag allmählich aus seiner hochpreisigen Zivilklage-Kanzlei in Hartford zurück, um mehr Zeit für Wettkampfsportarten wie Tennis oder Racket und für Seniorenski zu haben. George hatte auf der Uni mit einem der Seniorpartner von Stevens Firma das Zimmer geteilt und »adoptierte« die Reeves’, als sie nach ihrer Heirat in die Gemeinde zogen. Marjorie arbeitete in ihrem ersten halben Jahr in Connecticut samstags mit Georges Frau Patsy als Freiwillige im Secondhandladen der Episkopalen. Dem jungen Steven erzählte George Nicholson von einem denkwürdigen abhärtenden Sommer, den er vor Matinicus, Maine, mit ein paar zähen alten Seebären beim Hochholen von Tiefsee-Hummerfallen verbracht hatte. Später war er bei den Marines gewesen, und auf seinem Unterarm prangte eine Tätowierung mit einem verblassten Anker, einer Kugel und einer Kette. Noch später dann hatte er mit Stevens Frau gevögelt.
    Nun, da er etwas gesagt hatte, auch wenn es keinen Sinn ergab, war Steven schlecht gelaunt und erleichtert, als hätte er Luft abgelassen. Marjorie saß neben ihm im stillen Auto und schaute immer noch nach vorn. Zwei Gedanken konkurrierten jetzt in seinem wieder erwachten Bewusstsein. Der eine entsprang eindeutig seiner Ansicht über George Nicholson. Den hielt er für einen Windbeutel, aber auch einen mächtigen Mann, der seine Schäfchen ins Trockene gebracht und dabei vor nicht viel Halt gemacht

Weitere Kostenlose Bücher