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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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– kommen einem immer so nah vor. Obwohl, ihrer Mutter wahrscheinlich nicht.
    Blink, blink, blink, die Lichter blinken.
    Die Ehe. Ja, natürlich muss sie jetzt daran denken. Obwohl die Ehe vielleicht nur eine lange Ebene der Selbstenthüllung ist, an deren Ende jemand vor dir steht, der dich gar nicht so gut kennt. Das wäre eine Nachricht, die sie Jack hätte hinterlassen können. »Lieber Jack, ich weiß jetzt, dass die Ehe nur eine lange Ebene ist, an deren Ende usw. usw.« Du hast immer zu spät an so was gedacht. Irgendwo hört Faith noch mehr schwache Musik, »Ich steh an deiner Krippen hier«, hübsch gespielt auf einem Glockenspiel. Musik, zu der man schlafen kann.
    Und wie sollen sie mit Morgen umgehen? Nicht mit dem ewigen Morgen, sondern dem versprochenen, dem praktischen. Ihre Schenkel fühlen sich steif an, dabei entspannt sie sich doch langsam. Ihre Mutter, der Berg neben ihr, dreht ihr den Rücken zu. Wie also? Roger wird morgen rehabilitiert, ja, ja. Es wird Brettspiele geben. Kleidungswechsel. Die üblichen Telefonanrufe. Sie wird sich die Zeit nehmen, ihre Mutter zu fragen, ob irgendjemand je missbraucht wurde, und herausfinden, nein, zum Glück nicht. Ungewöhnliche Blicke werden zwischen allen und jedem hin und her gehen. Gewisse Namen und Wörter werden, zu Gunsten aller, sparsam bemessen sein. Die Mädchen werden noch einmal Skifahren lernen und Spaß dabei haben. Witze werden erzählt werden. Sie werden sich besser fühlen, wieder eine Familie sein. Weihnachten sorgt schon für sich selbst.

UNTER DEM RADAR
    A
uf der Fahrt zum Abendessen bei den Nicholsons – ihrem ersten seit einiger Zeit – erzählte Marjorie Reeves ihrem Mann, Steven Reeves, dass sie vor einem Jahr eine Affäre mit George Nicholson (ihrem Gastgeber) gehabt habe, die inzwischen aber vorbei sei, und sie hoffe, er – Steven – sei nicht böse und könne damit leben.
    In diesem Moment fuhren sie gerade auf der Quaker Bridge Road, nach dem Abzweig von der Perkins Great Woods Road, entlang an dem Shenipsit-Staubecken, das dunkel und düster und still spiegelnd in der Dämmerung des Spätfrühlingstages lag. Auf der rechten Seite stand dicht der junge Wald, Buche und Erle mit blassem Laub, und der Boden war klamm und pappig. Laubfrösche quakten in den feuchten Senken. Bis zur Abbiegung auf die Apple Orchard Lane waren es noch anderthalb Kilometer.
    Als Steven diese Neuigkeiten hörte, steuerte er ihren Wagen – einen gelbbraunen Mercedes Kombi mit gelben Klappscheinwerfern – sehr behutsam von der Quaker Bridge Road herunter auf das nasse Gras des Seitenstreifens, um diese Information erst mal vernünftig einzuordnen, bevor er weiterfuhr.
    Sie waren beide noch sehr jung. Steven Reeves war achtundzwanzig. Marjorie Reeves ein Jahr jünger. Sie waren nicht reich, aber sie hatten Glück gehabt. Stevens Posten bei Packard-Wells war mit der Aufgabe betraut, eine kleine Abteilung einer größeren Abteilung einer ziemlich kleinen Vorfertigungs-Schnittstelle im Blick zu behalten, die die Automobilindustrie belieferte, wobei jegliche abrupte Veränderung oder sogar das Gerücht einer Veränderung in gewissen polymerverbindenden Formeln entscheidende Anforderungsmuster in der gesamten Produktionskette kippen und auf diese Weise den Handlungsspielraum und die sichere Verankerung einer erklecklichen Menge wichtiger Kundenpositionen beeinträchtigen konnte. Im Einzelnen musste er sich dazu in das Fachchinesisch der verstiegenen Zeitschriften für die petrochemische Industrie vertiefen, technische Seminare besuchen, auf Vertreterkongresse fliegen, dann detaillierte Statusberichte verfassen und währenddessen immer ein Auge auf den Markt haben, zum Vorteil seiner Vorgesetzten. Er war ein Bates-Absolvent mit Stipendium, hatte Chemie studiert und war der einzige Sohn einer leidgeprüften, aber redlichen Hummerfischer-Familie aus Pemaquid, Maine, und er hatte es zu etwas gebracht. Seine Bosse bei Packard-Wells mochten ihn, sahen sich selbst in ihm, plus einige Charaktereigenschaften, die sie nie so recht besessen hatten – eine blonde, schmächtige Unreife, die fast zur Leichtgläubigkeit tendierte, aber stabilisiert wurde durch Umsicht, Findigkeit und eine gründliche, kompakte Zähigkeit. Er passte auf. Inzwischen war er seit sieben Jahren bei der Firma – und das bei seiner ersten Stelle. Er und Marjorie waren seit zwei Jahren verheiratet. Sie hatten keine Kinder. Das Auto hatte er Weihnachten vor zwei Jahren als Prämie bekommen.
    Als

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