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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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hätte unredlich gewirkt. Wie ein Versuch, zu viel zu erreichen. Andererseits, wie sollte man das Maximum aus einem Augenblick herausholen, wenn man nichts erreichen wollte?
    Die Amerikaner draußen umarmten sich alle gerade, lächelten breite Christenlächeln, nun, da ihre Gebete zu einem zufrieden stellenden Ende gekommen waren.
    »Überlegst du, was du Nettes sagen könntest?«, meinte Madeleine keck.
    »Nein«, sagte Henry. »Das versuchte ich zu vermeiden.«
    »Na, das ist doch genauso gut«, sagte sie lächelnd. »Vielleicht nicht gut genug für jeden, aber ich verstehe es. Es ist schwer herauszufinden, wie man etwas beenden soll, das nie richtig begonnen hat.«
    Er stieß die schwere Tür auf, hob seinen Koffer hinten heraus, trat in das kühle Herbstlicht und schaute noch einmal schnell zu ihr herein. Sie lächelte ihn durch die offene Tür an. Jetzt gab es nichts mehr zu sagen. Die Worte waren aufgebraucht.
    »Würdest du mir da nicht zustimmen, Henry?«, sagte sie. »Das wäre etwas Nettes, das du sagen könntest. Nur dass du mir zustimmst.«
    »Ja, okay«, sagte Henry. »Das tue ich. Ich stimme dir zu. In allem stimme ich dir zu.«
    »Dann geh zu deinen Landsleuten zurück.«
    Er schloss die Tür. Sie schaute ihn nicht wieder an. Er beobachtete, wie sie davonglitt, dann beschleunigte, dann schnell verschwand in dem Verkehr, zurück in die Stadt.

NACHSICHT
    A
m ersten Tag ihres Maine-Urlaubs fuhren sie nach der Arbeit nach Harrisburg, flogen nach Philadelphia und dann nach Portland, wo sie am Flughafen einen Ford Explorer mieteten, in einem Friendly’s zu Abend aßen und schließlich die 95 nach Freeport hochfuhren – immer weiter, obwohl es schon lange dunkel war –, bis sie direkt gegenüber vom Kaufhaus L. L. Bean ein Bed-and-Breakfast fanden, das überraschenderweise rund um die Uhr geöffnet war.
    Bevor sie sich in das wacklige Himmelbett legte und vor Erschöpfung fast ohnmächtig einschlief, stellte sich Nancy Marshall nackt an das dunkle Fenster und betrachtete über die Straße hinweg das große, hell erleuchtete Bean-Gebäude, das strahlte wie ein neues Opernhaus. Um ein Uhr früh herrschte reges Kommen und Gehen, die Kunden schleppten Pakete, zogen Gartenzubehör hinter sich her, schoben Tourenräder und verschwanden bestens gelaunt in der Dunkelheit. Zwei große Conant-Reisebusse aus Kanada standen mit laufendem Motor am Bordstein, während die uniformierten Fahrer in aller Ruhe eine auf dem Bürgersteig rauchten und auf ihre japanischen Fahrgäste warteten, die drinnen alles leer kauften. Hier war die Straße belebt, die anderen Geschäfte weiter unten im Häuserblock, die zu teuren Ladenketten gehörten, waren allerdings geschlossen.
    Tom Marshall machte das Licht in dem winzigen Bad aus, trat in das Zimmer und stellte sich in seiner blauen Schlafanzughose dicht hinter sie. Er umfasste ihre Schultern und presste sich an sie, erregt, wie sie merkte.
    »Ich weiß, warum der Laden bis ein Uhr auf hat«, sagte Nancy. »Aber ich weiß nicht, warum all die Leute kommen.« Irgendetwas an seiner sich aufdrängenden warmen Nähe ließ sie frösteln. Sie bedeckte ihre Brüste, die fast die Fensterscheibe berührten. Bestimmt lächelt er, dachte sie.
    »Die finden das toll, nehme ich an«, sagte Tom. Jetzt fühlte sie ihn deutlich – so richtig steif. »Das ist Maine für sie. Ein Besuch bei Bean’s nach Mitternacht. Die globale Kultur. Wahrscheinlich sind sie auf dem Weg nach Atlantic City.«
    »Aha«, sagte Nancy. Ihr war kalt, also ließ sie sich zu ihm ziehen. Das war in Ordnung. Sie war erschöpft. Sein Schwanz passte zwischen ihre Beine – genau da. Das mochte sie. Es fühlte sich vertraut an. »Ich habe die falsche Frage gestellt.« Das Glas spiegelte weder sie noch ihn hinter ihr, wie er sich immer näher an sie presste. Sie blieb vollkommen still stehen.
    »Was wäre denn die richtige Frage?« Tom schob jetzt mit voller Kraft, knickte in den Knien ein wenig ein, um sie zu finden. Er lächelte tatsächlich.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Vielleicht so: Was wissen die, was wir nicht wissen? Was machen wir hier auf dieser Seite der Straße? Die Musik spielt doch eindeutig da drüben.«
    Sie hörte ihn ausatmen, dann rückte er von ihr ab. Sie hatte gerade die Beine etwas spreizen, sich etwas nach vorn beugen wollen. »Nicht das.« Sie drehte sich suchend nach ihm um. »Das meine ich nicht.« Sie legte eine Hand zwischen ihre Beine, nur zum Berühren, sich mit den Fingern bedeckend. Sie

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