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Eine Vielzahl von Sünden

Eine Vielzahl von Sünden

Titel: Eine Vielzahl von Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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Vordergrund gestellt hatte. Ihr Lieblingsbild von sich selbst als Ehefrau zeigte sie irgendwo, egal wo, neben Tom, der mit einer typischen Samstagsmorgenaktion beschäftigt war – ein Lexikonregal mit Teakintarsien zu bauen, die letzten Feineinstellungen des selbst gebauten Go-Carts für Anthony vorzunehmen, ein Sprinklersystem mit Timer für den Garten zusammenzuschrauben –, und sie beobachtete ihn einfach nur bewundernd, verzückt, fast entrückt, so als wollte sie sagen: »Wie wunderbar und seltsam, was für ein Glück, mit einem solchen Mann verheiratet zu sein.« Dank der Ehe mit Tom Marshall, so glaubte sie, hatte sie die normalen Verhaltensweisen Hingabe, Liebe, Aufmerksamkeit und Respekt füreinander lernen können – undenkbar in jüngeren Jahren, weil sie damals, fand sie, zu selbstsüchtig war. Papas Liebling.
    Tom hatte den Plan, dass Nancy Jura studierte, sofort und begeistert unterstützt. In Anthonys letztem Jahr an der High School war er dank gleitender Arbeitszeit viel zu Hause gewesen. Er verschob seinen Urlaub, damit Nancy lernen konnte, und erwähnte seine eigenen, gescheiterten Jura-Ambitionen nie. Er mietete einen Saal und organisierte eine Studienabschlussparty und fuhr sie mit einem Streifenwagen zu ihrer Anwaltsprüfung; und als sie die bestand, organisierte er noch eine Party. Er applaudierte ihrem Entschluss, Pflichtverteidigerin zu werden, und jammerte nicht über die schlechte Bezahlung und die langen Arbeitszeiten, die er als den Preis für wichtige, befriedigende Tätigkeiten bezeichnete, als Beitrag zum Allgemeinwohl.
    Eine kurze Zeit lang – als Tom pensioniert war und in seiner Werkstatt arbeitete, Anthony in Goucher angenommen war und den Sommer als Praktikant in einer Washingtoner Klinik verbrachte und Nancy in ihrer Stelle beim County allmählich Fuß fasste – eine kurze Zeit lang schien ihr Erdenleben so vollkommen zu sein, wie man es sich nur denken konnte. Nancy gewann ihre Prozesse öfter, als sie verlor. Anthony wurde schon bald für die Zeit nach seinem Abschluss eine Stelle angeboten. Und Tom träumte sich zwei Spielzeugfiguren für Vierjährige zusammen und produzierte sie auch, und es gelang ihm sogar, sie an Frankreich, Finnland und den Warenhauskonzern Neiman Marcus zu verkaufen.
    Das eine dieser Spielzeuge war ein lächerlich simpler Hund, dessen Konturen Tom als Puzzle ausschnitt, gelb, rot und grün färbte und mit Hundezügen bemalte. Er schnitt die Form aber so, dass sich in Wahrheit sechs Hunde ergaben, die man aneinander fügen konnte, so dass das Kind seine Figur endlos auseinander nehmen und wieder zusammensetzen konnte. Tom nannte das Spielzeug »Wagner der Hund«, verdiente zwanzigtausend Dollar damit, und die Franzosen zeigten Interesse für neue Ideen von ihm, egal was es war. Die andere Figur stellte einen Leuchtturm aus Balsaholz dar, der sich ebenfalls aus verschiedenen Einzelteilen zusammensetzen ließ, aber für sein Gefühl letztlich doch zu knifflig war. Sie verkaufte sich nur in Finnland und brachte nichts ein. »Leuchtturm Maine« nannte er sie und fand sie nicht besonders originell. Er plante eine Website.
    Darüber hinaus machte Tom Marshall noch etwas anderes, kaum dass alles wunderbar war, er fing eine Affäre mit einer Siebdruckkünstlerin an, die auch ein Atelier in dem Künstlerhaus gemietet hatte – eine wesentlich jüngere Frau als Nancy namens Crystal Blue, die ihr Siebdruckprojekt »Création Crystal Blue« genannt hatte. Nancy war die Male, als sie Tom in der Werkstatt besuchte, um seine neuen Arbeiten zu besichtigen, nett zu ihr gewesen.
    Crystal war ein hübsches kleines Dummchen ohne nennenswerte Persönlichkeit und druckte Frauensilhouetten in durchsichtigen Kleidern à la Maxfield Parrish, in grellen Metallicfarben. Die verkaufte sie dann aus einem stahlblauen Lieferwagen mit einem Selbstporträt auf der Seite, meistens an Biker und Amphetaminsüchtige, auf viertklassigen Kunstgewerbeschauen in West Virginia und Südpennsylvania. Nancy begriff, dass Crystal sich ganz natürlich zu Tom hingezogen fühlen musste – er war ein ganzer Kerl, gut aussehend mit großen Augen, das genaue Gegenteil von ihr. Und Tom fühlte sich möglicherweise zu Crystal hingezogen, deren billige Art als Unverklemmtheit posierte. Aber vermutlich nur bis zu einem gewissen Punkt – nämlich bis Tom innehielt und merkte, dass nichts Interessantes an ihr war. Abgesehen vom nächsten Schäferstündchen natürlich. Aber mit der Zeit würde er sich auch

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