Eine Vorhaut klagt an
erwische – wenn ich auch nur ein Gerücht davon höre –, bist du draußen.
– Ich weiß.
Er nahm einen langen Zug aus seiner Zigarette und blinzelte mich durch den Rauch an.
– Weswegen hat man dich verhaftet?, fragte er.
– Ladendiebstahl.
– Was hast du gestohlen?
– Klamotten.
Er nickte.
– Warum?, fragte er.
Ich zuckte die Achseln. Er hatte mich schon mehr danach gefragt als meine Mutter.
Er lud mich für Freitagabend zu sich zum Essen ein, und ich sagte zu. Alle Rabbis wohnten in der Stadt, und jeden Freitagabend und Samstagnachmittag luden sie großzügig Studenten zu sich nach Hause ein – immer fünf, sechs –, um gemeinsam mit ihnen das zu essen, was ihre Frauen gekocht hatten. Es waren oft sieben-, achtköpfige Familien, die kaum genug Geld hatten, um sich selbst zu ernähren, und die boten ihre Speisen amerikanischen Studenten an, deren Eltern an einem Tag mehr verdienten als sie in einem ganzen Jahr. Das machten sie nicht aus Herzensgüte, sondern um uns frommer zu machen. Strenge Regeln und Bestimmungen hatten uns nicht fügsam gemacht, deshalb waren wir ja da. Also versuchten die Rabbis von Neveh es mit Gefühlen, füllten die Lücke, die unsere zerrütteten Familien gerissen hatten, um uns »zurückzuholen«. Dabei vernachlässigten sie natürlich die eigene Familie, doch all ihr Leid würde ihnen mit unschätzbaren Belohnungen in der Kommenden Welt vergolten. Ich wusste, dass ich manipulierte, und auch, dass ich selbstsüchtig war, doch als New Yorker faszinierte es mich, dass es Leute gab, für die Geld nicht das Wichtigste war.
Ich ging ins Wohnheim zurück. Winreb war gerade vom Dach gekommen. Die neu eingetroffenen Studenten waren damit beschäftigt, ihre Matchsäcke auszupacken und Bilder an die Wand zu hängen. Die Erstjährigen hängten Poster mit Sportwagen, Body-buildern und Models auf. Die Zweitjährigen – die Geretteten, die baldigen Retter – hängten Bilder vom Tempelberg und Fotos von berühmten Rabbis auf: Rav Schach, Rabbi Feinstein, dem anderen Rabbi Feinstein. Rabbi Wint schlurfte von Zimmer zu Zimmer, hieß die Studenten willkommen und scheuchte sie zum Gebet.
– Ach!, schrie er, als er in mein Zimmer kam, bedeckte die Augen und wandte den Kopf ab.
– Was?, fragte ich.
– Das musst du abnehmen, sagte er und zeigte auf ein Poster von Cindy Crawford, das ich übers Bett gehängt hatte.
– Warum?
– Warum? Weil sie nackt ist.
– Aber sie hat einen Bikini an.
– Die gefällt Ihnen, wie?, sagte mein Zimmergenosse zu ihm.
– Ich kenne sie ja nicht mal, sagte Rabbi Wint.
Wir lachten alle. Rabbi Wint hielt die Augen noch immer bedeckt.
– Wenn du sie nicht abnimmst, sagte er, – kann ich hier nicht mehr reinkommen.
– Warum wäre das ein Problem für mich?, fragte ich.
Wint lachte.
– Ein Talmid chochem !, sagte er. Ein Schriftgelehrter! Er ging wieder hinaus auf den Flur und lief anderen Studenten hinterher. – Dovid! Zeit fürs Mincha ! Chaim! Na los! Gott wartet!
Ich ging zur Tür und lehnte mich an den Rahmen, von wo aus ich mir ansah, wie Rabbi Wint so viele Studenten, wie er nur auftreiben konnte, versammelte und mit ihnen über den Hof zum Gebetssaal marschierte. Sie gingen gen Himmel in blauen New-York-Rangers-Trikots und gelben Pittsburgh-Penguin-Trikots und gestreiften Yankees-Baseballkappen und roten Nikes. Winreb lugte hinter einem Gebüsch hervor und sauste dann an mir vorbei die Treppe hinauf und wieder aufs Dach. Ein Erstjähriger namens Doni stand draußen in der Sonne mit ledernen Hockeyhandschuhen und Helm und übte Handgelenkschüsse gegen die Wohnheimwand. Auf den Stufen zum Haus machte ein Student namens Dovid aus einer Maccabee-Bierdose eine Bong.
– Hast du was?, fragte ich ihn.
Er schüttelte den Kopf und zuckte die Achseln.
– Bloß für alle Fälle, sagte er.
Ich nickte.
– Zweites Jahr?, fragte ich ihn.
– Genau.
– Warum bist du wiedergekommen?
Er grinste und breitete die Arme aus, zeigte auf alles um ihn herum.
– Oder zu Hause sein? Bei meinen Eltern?
Wieder nickte ich.
Rabbi Wint winkte uns zu sich. – Ha-Schem wartet!, rief er.
Ich ging auf mein Zimmer, schloss die Tür ab, machte die Augen zu, dachte an die Chajelet am Flughafen und befleckte uns beide.
Der erste Tag.
Rabbi Freidman hatte jede Menge LSD geworfen.
– Ich konnte beim Fahrradfahren mit einer Hand einen Joint drehen, erzählte er uns.
Auf einem Trip war er dann Gott begegnet; er hatte eine Vision vom Ewigen gesehen
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