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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shalom Auslander
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auf der Seitenwand, stand in drei Meter hohen Lettern deren Akronym: G. O. D.
    Klasse, Gott.
    Dreckskerl.

14
     
    So kamen wir in jenem Jahr, achtzehn Jahre alt und allein, aus New York und Los Angeles und Chicago und Florida, aus den Städten und den Vorstädten in den Nahen Osten, nach Israel, ins Gelobte Land, das Land unserer Ahnen, das »Land, das ich dir zeigen will«, und suchten nach dem, was wir für Gott hielten: Wir kamen mit Hockeyschlägern. Mit Nike Air Jordans und Avirex-Lederjacken und Rollerblades. Mit Hustler und Penthouse und Playboy . Wir kamen mit Sonnenbrillen von Oakley und Walkmans von Sony und stangenweise amerikanischen Zigaretten.
    Vor meiner Abreise hatte meine Mutter mir noch erzählt, wie ihre Familie um das Radio herumsaß – da war sie nicht älter als zehn, aber sie erinnerte sich noch genau daran – und den Atem anhielt, als die UNO die Stimmen über den Tagesordnungspunkt betreffend die Erschaffung des Staates Israel auszählte. Sie erzählte mir, wie ihr Vater geweint habe und wie ihr Bruder, Jahre später, als er ein erfolgreicher Rabbi geworden sei, dem Vater seinen ersten Flug nach Israel verschaffte. Schon ein älterer Mann, stieg mein Großvater vorsichtig aus dem Flugzeug, fing an zu weinen, fiel auf die Knie, küsste den Boden und rezitierte das Schma : Höre, Israel: Der Herr ist dein einziger Gott.
    Die Türen meiner El-Al-Maschine gingen auf. Die Luft war zu heiß zum Einatmen.
    – Scheiße, sagte ich.
    Ich atmete flach, ließ die Luft einen Moment im Mund abkühlen, bevor ich sie weiter in die Lungen ließ. Die Sonne brannte mit der Gewalt eines wütenden Gottes aufs Land herab. Nicht wie. Mit.
    Sol stupste mich an und zeigte auf eine Chajelet, eine Soldatin der israelischen Streitkräfte, die unten an der fahrbaren Treppe stand. Ihre bronzene Haut schimmerte in der Sonne, und ihr Bizeps wogte, als sie ihre Uzi auf die andere herrliche Schulter wechselte.
    Und Gott prüfte Abraham .
    – Scheiße, sagte ich.
    – Genau, sagte Sol. – Süß.
    Zwei Wörter, zwei Flüche. Und ich war noch nicht mal ganz aus dem Flugzeug raus.
     
    Jerusalem ist die heiligste Stadt in ganz Israel, Heimat von König Davids Grab, dem Tempelberg, der Klagemauer und der Mir-Jeschiwe, die angefüllt ist mit Tausenden von Studenten, die Talmud, Tora und rabbinische Literatur studieren. Tel Aviv ist die unheiligste Stadt in ganz Israel, Heimat von Nachtclubs, Stripperinnen, Huren und der Universität Bar-Ilan, die angefüllt ist mit Tausenden von Studenten, die Geisteswissenschaften, Biowissenschaften, Gesellschaftswissenschaften und nichtrabbinische Literatur studieren. Unsere Jeschiwe, Neveh Zion (Dorf Zion), war in einer Kleinstadt namens Telshe Stone, auf halbem Weg zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Links zur Hölle, rechts zum Himmel.
    Telshe Stone war nichts weiter als ein Berg mit einem Markt, einem rituellen Bad und obendrauf einer Jeschiwe für missratene jüdische Teenager. Die Anlage der Stadt schien grob dem Empfang der Zehn Gebote am Berg Sinai nachgebildet: oben die Jeschiwe, darunter, hingeduckt, die Stadt, wie sie eben war. Jeden Morgen stapften die Rabbis die Baal-Schem-Tow-Straße (benannt nach einem berühmten Rabbi) hinauf, um Gottes Wort zu studieren. Am Fuß des Berges kreuzte die Baal-Schem-Tow-Straße die Marcus-Straße (benannt nach einem berühmten Soldaten), und dort, an der Schnittstelle von Rabbi und Soldat, nahmen Taxis und gelegentlich auch einmal ein Bus nach Jerusalem ihre Fahrgäste auf oder setzten sie ab.
    – Hier, sagte unser Taxifahrer an jenem ersten Tag, als er vor den Sicherheitstoren anhielt.
    – Hier?, fragte ich.
    – Hier.
    – Wo hier?, fragte Sol. – Jeschiwe hier?
    – Oben, sagte der Fahrer. – Oben.
    – Können Sie uns rauffahren?, fragte ich ihn.
    Er schaute mich im Rückspiegel an und grinste verlegen, wobei er den Kopf schüttelte.
    – Aravi , sagte er auf Hebräisch. Araber.
    Sol knuffte mich in den Arm und hielt die Hand auf.
    – Bezahlen, sagte er.
    Wir waren vor dem Flughafen in eine Debatte geraten. Monatelang hatte man uns gewarnt, niemals in ein arabisches Taxi zu steigen, konnten uns aber nicht mehr erinnern, welches die israelischen und welches die arabischen Taxis waren; Sol sagte, die israelischen hätten gelbe Nummernschilder, die arabischen blaue. Ich beharrte darauf, dass es umgekehrt war.
    – Blau ist die Nationalfarbe, du Idiot, meinte ich. – Warum sollten sie den Arabern wohl blaue Nummernschilder geben?
    – Blau

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