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Eine wie Alaska

Titel: Eine wie Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Green
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und ergab mich dem Dauerzustand der Nässe. Das Essen im Speisesaal schmeckte säuerlich nach Regenwasser, alles roch nach Schimmel und das Duschen wurde absurd, weil die ganze gottverdammte Welt einen höheren Wasserdruck hatte als unsere Dusche.
    Der Regen machte Einsiedler aus uns allen. Der Colonel verbrachte jede unterrichtsfreie Minute auf dem Sofa, wo er den Atlas studierte oder Videospiele spielte, und ich wusste nicht, ob er reden wollte oder einfach nur dasitzen, auf dem weißen Schaumstoff, und in Frieden seine Ambrosia trinken.
    Nach unserem katastrophalen »Date« hielt ich es für das Beste, unter keinen Umständen mit Lara zu reden, aus lauter Furcht, ich könnte mir wieder eine Gehirnerschütterung holen und auf sie kotzen, auch wenn sie mir am Tag danach in Mathe versichert hatte: »Das war gar nicht schliemm.«
    Alaska sah ich nur im Unterricht, und mit ihr konnte ich auch nicht reden, weil sie jeden Tag zu spät kam und dann beim Klingeln den Raum verließ, bevor ich auch nur den Deckel auf meinen Kuli schieben und den Block zuklappen konnte. Am Abend des fünften Regentages ging ich in den Speisesaal mit dem festen Vorsatz, umzukehren und mir einen Bufrito aufzuwärmen, falls Alaska und/oder Takumi nicht da waren (ich wusste, dass der Colonel bei uns im Zimmer war und Milch mit Wodka zu Abend aß). Doch ich blieb, denn ich entdeckte Alaska, die allein an einem Tisch saß, mit dem Rücken zum Regen überströmten Fenster. Ich lud mir einen Teller mit frittierten Okra voll und setzte mich zu ihr.
    »Gott, das hört wohl nie wieder auf«, sagte ich und meinte den Regen.
    »Hm«, sagte sie. Die Haare hingen ihr nass vom Kopf und verbargen ihr Gesicht. Ich aß einen Bissen. Sie aß einen Bissen.
    »Was machst du so?«, fragte ich schließlich.
    »Ich hab echt keine Lust, Fragen zu beantworten, die mit was, wie, wenn, wo oder warum anfangen.«
    »Was hast du denn?«
    »Das wäre ›was‹. Auf ›Was‹ antworte ich zurzeit nicht. Okay, ich muss los.« Sie machte eine Schnute und atmete langsam aus, so wie der Colonel, wenn er Rauch ausblies.
    »Was –« Ich unterbrach mich und formulierte es anders. »Hab ich was falsch gemacht?«, fragte ich.
    Sie nahm ihr Tablett und stand auf, bevor sie antwortete. »Natürlich nicht, Schätzchen.«
    Das »Schätzchen« klang herablassend, nicht zärtlich, als könnte ein Junge, der gerade seinen ersten biblischen Regenfall erlebte, ihre Probleme auf keinen Fall verstehen – was es auch war. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht mit den Augen zu rollen, obwohl sie wahrscheinlich nicht mal das bemerkt hätte, als sie mit ihren tropfenden Haaren aus dem Speisesaal marschierte.
Sechsundsiebzig Tage vorher
    »Mir geht’s besser«, erklärte der Colonel am neunten Tag des Regens, als er sich in Religion neben mich setzte. »Ich hatte eine Erleuchtung. Erinnerst du dich an den Abend, als sie zu uns ins Zimmer kam und eine voll ätzende Zicke war?«
    »Ja. Die Oper. Die Flamingokrawatte.«
    »Genau.«
    »Und?«
    Der Colonel holte seinen Spiralblock heraus, dessen Deckel triefend nass war, und zupfte langsam die Seiten auseinander, bis er ein leeres Blatt gefunden hatte. »Das war die Erleuchtung. Sie ist eine voll ätzende Zicke.«
    Hyde kam hereingehumpelt, schwer auf seinen schwarzen Stock gestützt. Als er sich zu seinem Stuhl schleppte, bemerkte er ironisch: »Mein wetterfühliges Knie sagt mir, dass wir Regen bekommen. Stellen Sie sich schon mal darauf ein.«
    An seinem Stuhl angekommen lehnte er sich vorsichtig zurück, hielt sich mit beiden Händen an den Armlehnen fest und ließ sich mit kurzen flachen Atemzügen hineinsinken – wie eine schwangere Frau in den Wehen.
    »Auch wenn Sie noch über zwei Monate Zeit bis zur Abgabe haben, werde ich Ihnen das Thema für Ihren Aufsatz schon heute austeilen. Wie ich Sie kenne, haben Sie das Buch inzwischen so gut durchgearbeitet, dass Sie es auswendig können.« Er zwinkerte. »Nur zur Erinnerung: Der Aufsatz macht fünfzig Prozent Ihrer Note aus. Ich ermutige Sie dazu, ihn ernst zu nehmen. Und nun zu diesem Kerl namens Jesus.«
    Hyde sprach über das Evangelium des Markus, das ich, obwohl ich Christ bin, bis gestern nie gelesen hatte. Glaube ich. Ich war schon mal in der Kirche. Äh, vier Mal. Immerhin öfter als in der Moschee.
    Hyde erklärte uns, dass im ersten Jahrhundert, ungefähr zur Zeit Jesu, bestimmte römische Münzen ein Porträt des Kaisers Augustus trugen mit der Umschrift Filius Dei . Sohn

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