Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
Die meisten trugen breitgerippte Cordhosen mit Schlag. Erna ließ den Blick eine Weile auf ihnen ruhen. Ihr Geist schien mit etwas anderem beschäftigt zu sein, aber in Wirklichkeit dachte sie an gar nichts, befand sich in einer Art Schreckstarre, einem animalischen Zustand voll Wohlgefühl, verbunden mit jenem dumpfen Schmerz, der nicht nachließ.
Die Sonne war mittlerweile, von ihnen unbemerkt, tiefer gesunken, hatte sich weiter und weiter unter die Markisegestohlen und tauchte nun den Rand des Tischs, auf dem eine marmorgraue Wachstuchdecke lag, in orangegelbes Licht.
Erna hob das Gesicht zu Rost auf, als löse sie sich aus einem fernen Traum, ließ den Blick dann lange auf ihm ruhen, und ein kindlich zufriedenes Lächeln lag auf ihren Zügen. Rost wurde warm ums Herz. Dieses junge, pulsierende Leben war ihm zugewandt, fieberte ihm entgegen.
»Tagelang könnte ich Ihnen aufsagen, wie schön Sie sind, wie lieb – bis zum Wahnsinn. Meine kleine Erna«, flüsterte er, sich zu ihr vorlehnend, »ohne die Gewissheit, dass es Sie gibt, wären alle Dinge ihres Wertes beraubt. Keine Sonne, keinen Sommer – nichts gäbe es ohne Sie. Verstehen Sie? Nichts hätte Sinn und Verstand. Die Tage, die Jahre bisher, ehe ich Sie fand, sind leer in meinen Augen. Mein Leben beginnt erst mit Ihnen.«
Erna legte ihre Hand auf Rosts Hand, die auf dem Tisch ruhte, und streichelte ein-, zweimal sanft ihren Rücken, die Augen gesenkt. Die Sonne kletterte jetzt ihren Oberarm hinauf, bis zum Ärmelrand ihres hellblauen Sommerkleids, ohne dass sie es bemerkte.
Ohne die Augen zu heben, sagte sie: »Bald werde ich mir noch sehr wichtig vorkommen, vom Minister aufwärts.«
»Sie sind sehr wichtig! Keiner ist wichtiger als Sie!«
»Trotzdem fühle ich mich manchmal wie ein kleines Mädchen, ein Backfisch, sehr unwissend.«
»Ihr Körper steckt voll Weisheit! Diese Arme, die Beine, das Haar, die Nase, die Augen – alles voller Weisheit. Ich werde Sie noch die Weisheit Ihres liebreizenden Körpers lehren. Es gibt nicht nur eine Sorte Weisheit auf Erden, sondern verschiedene, und in der Torheit der Jugend steckt mehr Weisheit als in allen philosophischen Systemen zusammen! Wir beide, Sie und ich, sind unvergleichlich weise, weil wir jung sind, voller Leben bis in die Haarwurzeln.«
Sie standen auf und schlugen den Weg zum nahen Volksgarten ein. Instinktiv wählten sie Nebenstraßen aus Angst vor unerwünschten Begegnungen. Es waren stille, hohe Gassen, schläfrig in der nachlassenden Hitze, hier und da spielten Kinder ungestört, etwas abseits des Großstadtgetriebes. Aus einem offenen Fenster lugte der Kopf einer Alten der vorigen Generation, neben sich eine Katze. Aus einem Obergeschoss dröhnte gehetztes Klavierspiel. In einer anderen Gasse gab es nichts außer einer parkenden Kutsche, deren Kutscher zusammengekauert und gesenkten Kopfs auf dem Bock saß, als schliefe er, während das Pferd seinen gekürzten Schwanz wedelte, um die Fliegen zu vertreiben. Schließlich überquerten sie die laute, verkehrsreiche Ringstraße und befanden sich vor einem Eingang zum Volksgarten. In einer wenig begangenen Nebenallee schlenderten sie ohne Hast dahin, schweigend, um nicht etwa durch ein überflüssiges Wort oder eine heftige Geste das Glück zu stören, das beider Herzen erfüllte. Die dichten Büsche und die ausladenden alten Bäume spendeten Kühle. Hier war wenig Betrieb, nur vereinzelte Spaziergänger und Einsamkeit suchende Pärchen verschlug es in diese Alleen. Von Zeit zu Zeit wehten einige Klänge des Parkorchesters herüber, wie aus einer anderen Welt, fern und wunderbar, und verschwanden wieder, wie von unsichtbarer Hand weggefegt. Dann schwebte ein kurzes Musikstück in der Luft, keineswegs schmachtend, und doch rührte es im Stillen ans Herz und brachte einen Hauch Sommer und Glück und Jugend mit. Hin und wieder warf Rost einen Blick zu Erna hinüber, die ihren Hut in der Hand trug. Eine blauschwarze Haarsträhne hatte sich aus ihrer Frisur gelöst und fiel ihr schlaff über die blasse Wange, auf der eine leichte, kaum wahrnehmbare Röte erblüht war.
Dann fanden sie eine Bank und setzten sich. Die Bank stand ganz im Schatten verborgen, und nur davor, nichtweit, ließ ein Baumwipfel Sonnenflecken auf die festgetretene Erde durchsickern. Rost passte einen Augenblick ab, als sich kein Mensch blicken ließ, und küsste Erna flugs auf Mund und Hals.
»Nicht doch, mein Lieber«, protestierte Erna schwach und wurde knallrot, »es
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