Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
leicht und flatterhaft sein sollten, aus reiner Lebensfreude, von Natur aus vorübergehend, weil schon die äußeren Umstände keine dauerhafte Basis gewährten – in derlei Beziehungen sollte man nicht mehr investieren, als sie fassen konnten. Man brauchte sich nicht ganz einzubringen, wo schon die Hälfte mehr als genügte, alles andere war Kraftverschwendung. Für ihn jedenfalls war die Sache erledigt.
Als er schon ausgehfertig war, hörte er die Wohnungstür und Gertruds Stimme. Er wartete kurz in seinem Zimmer, um nicht mit ihr zusammenzustoßen, aber es dauerte nicht lange, bis es an seine Tür klopfte, und ohne seine Antwort abzuwarten, platzte Gertrud – noch in Hut und Mantel – herein.
»Ich fürchtete schon, dich nicht mehr anzutreffen«, sagte sie, erschöpft aufs Sofa sinkend, »hab mich sehr beeilt.«
Rost blieb am Tisch stehen und musterte sie.
Gertrud atmete schwer, das Gesicht leicht gerötet. »Du gehst also schon wieder weg.« Leiser Vorwurf lag in ihrer Stimme. »Gibst du mir keinen Kuss?«
»Möchtest du mir was sagen?« Sein Ton war ungeduldig, was Gertrud entging. »Ich habe noch nicht gefrühstückt.«
Gertrud setzte den weinroten Strohhut ab und legte ihn neben sich aufs Sofa, strich mit der anderen Hand dieLocken zurück und schlug vor: »Man könnte dir hier Kaffee machen, oder was du möchtest, ja?«
Rost antwortete nicht. Das Zimmer war jetzt überflutet von der Sonne, die durch die offenen Fenster schien.
»Möchtest du nicht die Vorhänge ein wenig vorziehen? Es ist zu heiß. Außerdem schadet die Sonne den Möbeln.«
Rost zog widerwillig die Vorhänge zu. Augenblicklich wurde die Anwesenheit der Frau spürbarer, als wäre sie gerade erst eingetreten. Das Zimmer versank in Halbdunkel. Rost trat wieder an den Tisch. Ein ferner, vager Geruch von Mottenkugeln hing in der Luft.
»Ich habe jetzt nicht viel Zeit«, sagte Gertrud, ohne sich zu rühren, »das Mittagessen muss zubereitet werden.« Und einen Moment später: »Heute Nachmittag geht Erna zu Friedel Kobler, sie hat es schon angekündigt.« Da Rost nichts entgegnete, setzte sie etwas zögernd hinzu: »Bist du heute Nachmittag frei?«
Nein, am Nachmittag würde er für kein Geld der Welt frei sein.
»Ich hätte schwören können, dass deine Antwort so ausfallen würde«, sagte sie, mit scherzhaftem Unterton. Zerstreut strich sie sich wieder über die Haare. »In der letzten Zeit vernachlässigst du mich. Man kann sagen, du gehst mir aus dem Weg.« Und als wollte sie seine Leidenschaft entfachen: »Das Dienstmädchen geht auch weg. Ich habe ihr frei gegeben. Und ich hatte mich schon so gefreut, auf einen ganzen Nachmittag ungestört für uns.«
»Heute geht es nicht«, wiederholte Rost energisch.
»Heute nicht und gestern nicht und morgen nicht – du kannst überhaupt nie!«
»Eine kleine Liebesszene?!«
»Keine Szene«, erregte sich Gertrud, »wieso denn Szene! Ich hatte mich bloß auf heute Nachmittag gefreut, und jetzt freue ich mich nicht mehr, kein Grund mehr zur Freude.«Sie zog ein Taschentuch aus der Handtasche und wischte sich das trockene Gesicht ab. Mit funkelnden Augen sah sie ihn einen Moment schweigend an. »Und in zwei Wochen fahren wir schon in die Sommerfrische«, sagte sie wie zu sich selbst, »ich weiß gar nicht, wie ich das aushalten soll.«
»Ich muss mir also ein anderes Zimmer suchen«, tat Rost begriffsstutzig.
»Vielleicht kommst du mit? Wir mieten eine größere Wohnung, der Ort ist sehr hübsch.« Sie sah ihn flehend an.
»Vielleicht komme ich für ein oder zwei Wochen. Für die ganzen Ferien kann ich nicht.«
Schweigen trat ein. Gertrud richtete die Augen zu Boden, in Gedanken verloren. Die eine Hand fuhr sinnlos und beharrlich über den Rücken ihrer Handtasche. Rosts Ungeduld wuchs. Man muss Schluss machen, grübelte er unaufhörlich. Trotzdem blieb er stumm stehen. Die Langeweile übermannte ihn zusehends. Mit einem Schlag wurde ihm klar, dass er nichts mehr für diese Frau empfand. Fremd war sie ihm, völlig fremd.
Gertrud richtete sich auf und schritt langsam näher, überquerte den schrägen Sonnenstrahl vom Fenster zur Zimmermitte, in dem feine Staubkörnchen flirrten, und blieb vor ihm stehen. Sie war etwas kleiner als er. In mühsam verhaltener Erregung flüsterte sie: »In den letzten Monaten habe ich alles verloren. Plötzlich wurde mir klar, dass ich nichts mehr habe, dass ich mit leeren Händen dastehe. Alles ist mir über. Nichts interessiert mich, nichts fesselt mich.
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