Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
bin.«
»Ich dachte nur, dass der Weg nicht unbedingt hier vorbeiführt.«
»Was, hast du einen markierten Weg, von dem man nicht abweichen darf ?« Und gleich darauf fügte sie hinzu: »Es ist noch keine sieben Uhr.«
»Egal«, sagte Gertrud, »geh rauf, ich komm gleich nach.«
Erna rührte sich nicht.
»Also, worauf wartest du denn«, brauste Gertrud auf, »ich hab dir gesagt, dass ich gleich nachkomme, ich habe noch was zu besorgen.«
»Ich geh mit.«
»Was für eine Nervensäge!«, ereiferte sich Gertrud noch mehr. »Ich wünsche nicht, dass du mitkommst, verstanden?!«
»Reg dich nicht auf, Mutter«, beschwichtigte Erna, »ich gehe. Ich dachte, es wäre dir lieber, aber wenn du nicht möchtest …« Sie nickte Rost zu und entfernte sich.
»Was ist mit ihr?« Gertrud machte eine Kopfbewegung in Richtung ihrer davongehenden Tochter.
»Was soll mit ihr sein?«, tat Rost verständnislos.
»Stell dich nicht dumm, du verstehst mich sehr gut.«
»Ich verstehe gar nichts«, entgegnete Rost entschieden und setzte sich in Bewegung. Gertrud holte ihn ein und ging an seiner Seite.
»Egal«, fauchte Gertrud, »ich erlaube es nicht. Nimm dir das zu Herzen.« Und kurz danach: »Sie ist erst sechzehn!«
»Kein Mensch behauptet das Gegenteil.«
»Schluss mit dem Spaß! Du weißt, dass ich dich liebe.«
»Und?«
»Ich werde keinem erlauben, dich mir wegzuschnappen, hörst du, keinem Menschen auf der Welt!«
»Kein Mensch hat es versucht.«
Und ohne auf seine Worte zu achten: »Du triffst Erna zu häufig, das will ich nicht!«
»Zufall.«
»Dieser Zufall tritt so häufig ein, dass es nicht mehr nach Zufall aussieht.«
»Du machst dich lächerlich. Ich betrachte es nicht als Verbrechen, Erna ein paar Schritte zu begleiten, wenn ich ihr begegne, bloß weil die Beziehungen zwischen dir und mir intimen Charakters sind.«
»Darum geht es nicht! Ich habe das sichere Empfinden, dass du sie umwirbst.«
»Du irrst.«
»Jedenfalls erlaube ich es nicht, ich werde vor nichts zurückschrecken.«
Sie waren an einem Garten angelangt, und Rost blieb stehen und lehnte sich an das schwarze Eisengitter.
Man sollte die Sache lieber friedlich beenden, ohne unnötige Verwicklungen, dachte er wiederholt. Dieser ganze unangenehme Wortwechsel konnte ihm nicht die Freude vergällen, die ihn ganz und gar erfüllte. Sein Herz jubilierte vor Glück, und er neigte momentan zur Nachsicht gegenüber Gertrud, gegenüber der ganzen Welt. Die Kirchturmuhr tat sieben energische Schläge, als verkünde sie ein unwiderrufliches Urteil. Gertrud stand ihm schweigend gegenüber, als warte sie, dass etwas geschah.
Rost bemerkte erstmals eine tiefe Furche seitlich ihres Mundes, die ihm bisher nicht aufgefallen war, und ein paar feine, kaum sichtbare Fältchen an den äußeren Augenwinkeln. Mit einem Schlag kam sie ihm armselig und bemitleidenswert vor, obwohl ihr Gesicht, abgesehen von diesen leichten Alterserscheinungen, immer noch straff und scharfgeschnitten war, ohne schlaffe oder schwabbelnde Hautpartien, die Augen hell und jung glühend. Ihre geschürzten Lippen entspannten sich, als wolle sie etwas sagen, aber sie sagte nichts. Stand nur weiter vor ihm und sah gewissermaßen durch ihn hindurch auf einen sehr fernen Punkt.
Rost wartete. Er pflückte ein Blatt von einem dichten Baum, dessen Äste über den Zaun ragten, und drehte es geistesabwesend in den Händen. Plötzlich überkam ihn heftige Ungeduld. Wozu dieses blöde Herumstehen? Er hatte die Nase voll von dieser Affäre, gestrichen voll! Er wandte sich zum Gehen.
Gertrud fing sich und gab ihm schweigend die Hand. Dann ging sie raschen Schritts davon, ohne den Kopf zu wenden.
18
Gleich nach dem Abendessen faltete Georg Stift seine Serviette zusammen und erhob sich. Er müsse sich heute Abend noch geschäftlich mit jemandem treffen und sei nicht sicher, ob er sich früh absetzen und nach Hause kommen könne. Jedenfalls sollten sie, Trudi und Erna, nicht auf ihn warten, sondern den Abend nach ihrem Belieben verbringen. Das Tageslicht, das durch die offenen Fenster in das schattige Zimmer strömte, war noch recht hell, hatte aber doch schon den leichten Grauschimmer der aufziehenden Abenddämmerung. Mizi, das Dienstmädchen, räumte unter heimeligem Geschirrklappern den Tisch ab. Erna rückte ihren Stuhl ans Fenster und legte den Roman, den sie vor dem Essen gelesen hatte, in den Schoß. Sie blickte durchs Fenster hinaus auf die Fensterreihen gegenüber. An einem dieser Fenster sah
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