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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
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er ihr lieb war.
    Der Saal war schon gut besetzt. Zwischen den Tischen bewegten sich die Kellner so leise, flink und geschmeidig wie Jongleure. Vom andern Ende her schwebten auf den hellen Lichtwellen die Geigenklänge der Zigeunerkapelle herüber, voll sehnlichen Verlangens und verhaltener Leidenschaft. Die Wildheit der Puszta klang aus diesen Weisen, atmete den Geist ungezügelter Begierden, stark wie der Tod, den Geist harter Tyrannei und hilfloser, kindlicher Zärtlichkeit, von Flehen und Schmeicheln, von Freiheitsdrang. Sie kündete von der verzweifelten Jagd nach einem Stückchen flüchtigen Glücks, von der stetigen, sturen Suche nach diesem Glück, das einem umso schneller entflieht, desto mehr man ihm nacheilt, und das, kaum dass man glaubt, es gepackt zu haben, zwischen den Fingern zerrinnt, und schon steht man wieder mit leeren Händen da.
    Als sie den Mokka getrunken hatten, war es schon halb zehn Uhr. Deans Frau erhob sich zum Gehen und nahm Waldi auf den Arm. Sie schenkte Rost ein kleines Lächeln zum Abschied. Ihr Mann begleitete sie nach draußen und kehrte nach wenigen Minuten zurück.
    »Die Droschke wird gleich zurück sein. Wenn Sie nichts Wichtigeres vorhaben, können Sie mich in den Klub begleiten.« Er rief den Kellner und zahlte. »Tellerwaschen, müssen Sie wissen, ist nicht jedermanns Sache. Es ist nicht die einzige Möglichkeit.«
    Durch die Wolkenschichten blinkten hier und da feuchte Sterne. Die Luft war frisch und rein. Zwei Lichterreihen leuchteten an der Ringstraße. Ein Strahlenkranz bezeichnete das vornehme Hotel Bristol und ein zweiter das Hotel Continental in der Ferne, und zur Linken versanken die Lichter im Dunkel des Burggartens. Ein leichter Wind verscheuchte eine weiße Wolkenherde am Himmel.
    Dean sagte: »Ich werde Ihnen zehntausend Kronen auf der Bank deponieren. Diesen Betrag habe ich Ihnen für ein Jahr zugeteilt, aber Sie können ihn selbstverständlich nach Belieben verwenden.«
    Franz hatte seinen Herrn von weitem gesehen und lenkte die Droschke von der anderen Straßenseite vor das Restaurant. Livriert thronte er auf dem Kutschbock, den dicken Schnurrbart hochgezwirbelt und die Miene verschlossen, undurchdringlich.
    »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen Ihre Güte danken kann.«
    »Lassen Sie das!«, unterbrach ihn Peter Dean mit einer abwehrenden Handbewegung. »In den meisten Fällen hat der Geber zu danken. Morgen Vormittag wird die Sache geregelt.«
    Die beiden Grauschimmel schwenkten Dean die hochmütig erhobenen Köpfe zu und scharrten mit den Hufen auf dem Pflaster. Er versetzte einem von ihnen einen freundschaftlichen Klaps auf den langen Hals. Der Türsteher des Restaurants in seiner blauen Livree mit Goldknöpfen sprang herbei und riss ihnen die Tür der reichverzierten überdachten Kutsche auf, schloss sie wieder, als sie eingestiegen waren, und spürte die Kronenmünze in der Hand, die Dean ihm zugesteckt hatte. Der verabredete sich mit Rost für den nächsten Morgen in der Kreditbank.
    Der Weg war nicht weit. Die luftbereifte Droschke rollte sanft bis zum Schwarzenbergplatz und bog in eine ruhigeund respektable Straße, überwiegend bebaut mit alten Palais, die tief in lauschigen Gärten standen und von der Kutsche aus nicht einsehbar waren. Zu beiden Straßenseiten erkannte man nichts als hohe eiserne Gitterzäune, durch die eine uralte, verschwiegene Stille, erfüllt vom Moder vergangener Generationen, drang. Hin und wieder stoben Funken unter den Hufeisen der Pferde. Das rhythmische, gleichmäßige Traben klang so eintönig, klippklapp, klippklapp, als stamme es von einem einzigen Pferd, und versetzte die Fahrgäste in wohlige, wunschlose Schläfrigkeit nach dem guten Mahl. Beide saßen ins Polster versunken, ohne etwas zu sagen.
    Gedankenfetzen und flüchtige Bilder huschten Rost mal länger, mal kürzer durch den Sinn. Er sah sich wieder an jenem kühlen, düsteren Wintermorgen auf dem Nordbahnhof aussteigen, ohne Geld, aber doch guten Muts. Einige Minuten war er auf der belebten Nordbahnstraße stehengeblieben, umbrandet vom Ächzen schwerer Fuhrwerke, dem Quietschen und Reiben vorbeieilender Trams, dem Menschengewimmel, und hatte sich das alles angesehen, ehe er ins Zentrum weiterging. Kurz war ihm das vage Gefühl gekommen, dass dieses ganze Getriebe ihm dank verborgener Zauberbande zu Gebote stehe, dann hatte er sich furchtlos aufgemacht in die fremde Stadt.
    Wieder sah er seine Mutter vor sich. Jetzt machte sie sich sicher schon bereit zum

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