Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
genoss die Affäre in Klagenfurt noch einmal in allen Einzelheiten. Eine Weile blies er unsichtbaren Rauch in die Luft des Salons.
Den Kopf in die Hand gestützt, ruhten Ernas Augen auf dem Buch vor sich auf dem Tisch, ohne dass sie las. Hin und wieder blickte sie verstohlen zu Rost und ihrer Mutter hinüber, die, um nicht müßig dazusitzen, scheinbar gleichgültig über einen öffentlichen Skandal plauderten, der in den letzten Tagen von der Presse durchgekaut wurde. Die wahrenBeziehungen zwischen ihnen blieben in einem anderen Zimmer derselben Wohnung verschlossen und versiegelt, sickerten nicht ein in die banale Unterhaltung, durch keinen einzigen Blick. Jetzt löste sich Georg Stift aus dem Hotelzimmer dort im Ritz und aus den Armen jener Frau und widmete Rost einen jovialen Gedanken. Dieser junge Mann war nicht unsympathisch und sehr weltgewandt für sein Alter.
»Was möchten Sie denn studieren, Herr Rost, wenn ich fragen darf ?«
»Ich habe mich noch nicht entschieden.«
»Ich habe Jura studiert. Fünf Semester hatte ich, und dann hat mich die Liebe gepackt, nicht wahr, Trudi«, er lächelte seiner Frau zu, »und ich wollte nicht warten. Ich hatte keine unbegrenzten Mittel zur Verfügung, und da erreichte mich ein günstiges Stellenangebot. Ich kann Ihnen sagen, dass ich es nie bereut habe. Bei Ihnen ist diese Frage ja gelöst, hoffe ich, die Frage der Mittel, meine ich.«
»Das ist sie.«
»Und Sie stehen ja nicht im Begriff, sich zu verlieben.«
»Woher wissen Sie das?«
»Erstens gibt es nur eine Trudi auf Erden, und die ist schon vergeben. Punkt. Und zweitens sehen Sie mir nicht wie einer aus, der schnell entflammt. Habe ich da nicht recht, Trudi?«
»Lass bitte die dummen Witze.«
»Diesmal haben Sie danebengeraten, Herr Stift«, sagte Rost, ob nun ernsthaft oder scherzhaft, und betrachtete die kalte Zigarette zwischen seinen Fingern, »ich bin nämlich schon in Liebe entbrannt, und das gerade in diese einzigartige Frau, die auf Erden nicht ihresgleichen hat.«
Herr Stift lachte laut auf, sichtlich zufrieden. »Dann muss ich Sie allerdings sehr bedauern, werter Herr, denn auf diesem Weg werden Sie nicht weiterkommen.«
»Ich bedaure mich auch selbst.«
»Sie müssen nämlich wissen, mein Freund, Sie tun ja erst die ersten Schritte im Leben, und da erlauben Sie einem erfahrenen Mann eine kleine Bemerkung. Es gibt Frauen, die von Natur aus fremdgehen, und es gibt solche, die es nicht tun. In nicht geringem Maß hängt das auch vom Ehemann ab. Es gibt Ehemänner, die eine Frau nie betrügen würde. Niemals!« Das letzte Wort unterstrich er mit einer Geste, die jede Widerrede von vornherein vom Tisch wischte.
»Zu meinem Leidwesen.«
»So ist es! Habe ich nicht recht, Trudi?«
Gertrud warf ihrem Mann einen kurzen, abfälligen Blick zu, der seinen Augen entging. Gelangweilt sagte sie: »Du hast völlig recht.«
Erna stellte sich nicht mehr lesend, sondern verfolgte offen und höchst angespannt jedes gesprochene Wort und jedes Mienenspiel. Was für ein abgekartetes Spiel! Was für eine Verlogenheit! Sie wurde immer zorniger auf ihre Mutter, auf sie allein, konnte sich nur unter Aufbietung aller Kräfte davon abhalten, die Bombe platzen zu lassen und die drei anzuschreien: Ihr Lügner! Ihr Betrüger! Ihr webt ein Lügengespinst! Aber ich, ich kenne die Wahrheit! Ich weiß alles! Sie konnte auch eine gewisse Verachtung für ihren Vater nicht unterdrücken, in der vielleicht etwas von der Verachtung der Mutter für ihn mitschwang, Verachtung für den Betrogenen, den Besiegten, den Schwachen, für diesen Vater, den sie bisher auf einfache und natürliche Weise geliebt hatte, ohne darüber nachzudenken. Er war immer dagewesen, eine feste, unverrückbare Tatsache, hatte sie mit Liebe, mit Wohlwollen umgeben, und sie hatte seine Liebe erwidert. Hatte ihn nie für besser oder höherstehender als andere gehalten. Er war ihr Vater, und sie liebte ihn. Und nun war er mit einem Schlag lächerlich geworden, klein in seinem Wohlbehagen, seiner trügerischen Sicherheit. In diesemAugenblick tat sich gewissermaßen ein Vakuum um Erna auf. Diese beiden Menschen, die ihre Eltern waren, rückten immer ferner, wurden völlig fremd, als befänden sie sich auf einer Kinoleinwand. Es gab keine Brücke mehr zu ihnen. Sie war mutterseelenallein, ohne jede Zuflucht. Und Rost, der Einzige, der sie hätte retten können, hielt zu ihnen, machte gemeinsame Sache mit ihnen, beachtete sie, Erna, gar nicht.
In dem
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