Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
unhandlich. Und da saßen wir dann mit einem Berg von Schaum zwischen uns. Ich wusch ihm die Haare, das Gesicht, und als ich bei seiner Brust angekommen war, hatte ich ein Déjà vu: Viele Male war ich mit Adrian so gesessen und hatte ihn gewaschen; Raimondo wurde zu Adrian, abwesend wie er, hilflos wie er, verloren wie er.
Ich lehnte mich vor und nahm ihn in den Arm. „Komm zu mir zurück, Raimondo! Komm zurück!“
Auch am späten Nachmittag hatte sich sein Zustand nicht gebessert. In meiner Hilflosigkeit rief ich unseren Freund Andreas an, einen Arzt, der sich die Symptome beschreiben ließ. Seiner Meinung nach bräuchte Raimondo nur Zeit und Betreuung, dann würde sich alles einrenken. Er bot mir an, ihn in eine Klinik aufnehmen zu lassen. Das kam jedoch nicht in Frage, nicht solange ich die Kraft und die Möglichkeiten hatte, ihn zu versorgen.
Ich zog Raimondo an, hängte ihm eine Jacke über die Schultern, setzte ihm seinen Strohhut auf und nahm ihn mit nach Hause. Hannah und meine Mutter waren da, später würde Kim kommen. Irgendwie würden wir ihn schon zurückholen.
Mutter erschrak, als ich Raimondo in die Wohnung schob: „Um Gottes willen, Herr Raimondo! Was ist denn mit Ihnen geschehen?“
„Adrian“, sagte ich nur, und meine Stimme krächzte.
„O Gott“, sagte sie, und Tränen schossen ihr in die Augen. „Armer Herr Raimondo. Es tut mir so leid. Ich finde keine Worte.“ Sie führte Raimondo ins Wohnzimmer, setzte sich mit ihm auf die Couch und hielt seine Hand.
Ihre Reaktion beeindruckte mich. Zwar hatte mir Edvard erzählt, daß Mutter ins Krankenhaus gefahren war, um die Schwestern zu überzeugen, Raimondo zu seinem Freund zu lassen, obwohl es die Eltern verboten hatten, aber es war etwas anderes, zu erleben, wie sehr sie ihm beistand. Die Souveränität, wie sie mit dieser Situation umging, überwältigte mich.
Malvyn ließ mal wieder die Musik im Arbeitszimmer donnern. Edvard störte das ja nicht, aber mir ging es auf die Nerven; und in diesem Moment war es unerträglich. Ich ging hinein und stellte sie ab.
„Das war ja abzusehen“, flüsterte mir Edvard ins Ohr, sobald ich in die Küche kam. Er legte seine Hand zwischen meine Schulterblätter, dann umarmte er mich und gab mir einen Kuß. „Wie geht‘s denn dir?“ fragte er und pellte dann weiter Kartoffeln. In der Pfanne brutzelte etwas, und aus einem kupfernen Tiegel stieg Dampf auf.
„Gut“, log ich. Ganz gleich, was ich sagte, Edvard würde sowieso mitbekommen, wie’s mir wirklich ging. „Wir müssen uns ein bißchen um ihn kümmern, dann wird’s schon wieder.“
„Essen ist jedenfalls kein Problem. Ich hab genug für eine Kompanie.“ Er reckte mir seine gespitzten Lippen entgegen. Ich küßte ihn. „Was hast du mit ihm vor?“
„Ich weiß es nicht. Momentan kümmert sich meine Mutter um ihn. Ich schau mal nach.“
Ich ging ins Wohnzimmer. Mutter saß noch neben ihm, hielt seine Hand und flüsterte. War es ein Gebet oder Zuspruch? Dann sah ich, wie sie das Taschentuch aus dem Ärmel ihres Kleides zog, um es sich vor den Mund zu halten.
Auf der anderen Seite zerrte Hannah an Raimondo herum: „Mondo, Mondo.“ Sie wollte, daß er das kleine gemalte Meisterwerk würdigte, das sie ihm in den Schoß gelegt hatte. Mit grünen Strichen hatte sie eine Wiese angedeutet, braune Linien stellten einen Baum dar. Es hieß: „Der Bär ist weg.“ Sie hatte es schon jedem von uns gezeigt.
„Und wo ist der Bär?“ hatten wir gefragt.
„Na, weg!“ war ihre Antwort, untermalt von einem verständnislosen Kopfschütteln über unsere Dummheit.
Aber Raimondo konnte sie keine Reaktion entlocken, nicht mal ein Lächeln. Schmollend trabte sie an mir vorbei ins Arbeitszimmer und kam dann mit einem ihrer Bücher bewaffnet zurück. Gut, kleine Maus, dachte ich. Weiter so.
Sie erklomm seinen Schoß, lehnte sich mit dem Rücken gegen seinen Bauch und begann, ihm „vorzulesen“: Sie erzählte eine mir nicht nachvollziehbare Geschichte, die nur entfernt Ähnlichkeit mit der im Buch aufwies. Raimondo streichelte ihr Haar; das Eis war gebrochen.
„Mama und Hannah kümmern sich um ihn“, sagte ich zu Edvard. Er nahm den Zwischenbericht zur Kenntnis, während er die gekochten Kartoffeln in eine Presse legte, um Kartoffelschnee zu machen. Auf der Arbeitsfläche lagen gehackte Kräuter; Edvard steckte den Finger in die Soße, leckte ihn ab, goß noch einen Schuß Weißwein hinein und preßte dann wieder Kartoffeln. Wie er das nur
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