Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
alles auf die Reihe bekam? Ein Phänomen.
Wenig später kam Kim. Ich hielt sie an der Tür fest, um zu verhindern, daß sie in ihrer üblichen überdrehten Art über Raimondo herfiel, und ließ sie erst in die Wohnung, nachdem ich sie informiert hatte.
„Hallo, Oma“, sagte sie zu meiner Mutter: „Na, Süße“ begrüßte sie ihre Tochter und strich Hannah dabei über die Locken. Dann wendete sie sich ihrem Ziehvater zu. „Mist, Raimondo. Das tut mir aber leid. Du hast aber auch ein Pech mit deinen Männern.“
Typisch Kim. Ich schaute ihr zu und schüttelte den Kopf.
Erst nach und nach merkte sie, daß mit ihm nicht zu reden war. „Würdest du bitte ein Lebenszeichen von dir geben? Ich bin’s, Raimondo, Kim. Hallo? Hier draußen!“
Er hob den Kopf und schaute sie an.
Hannah klappte die Kinnlade herunter. „Mama, guck mal. Mondo hat sich bewegt.“
„Und was sollen wir jetzt mit dir anstellen?“ fragte Kim.
„Laßt mich einfach ein wenig hier sitzen.“
„Okay.“ Kim nahm ihre Tochter auf den Arm. „Guten Abend, mein Engelchen. Waren die Jungs lieb zu dir?“
„Ja, Mama“, antwortete Hannah. „Komm mal mit ins Schlafzimmer. Ich muß dir was zeigen.“
„Raimondo. Raimondo!“ rief Kim.
Er schaute auf. „Wenn du was brauchst, ruf uns. Alles klar?“ Dann ließ sie ihn mit meiner Mutter allein. Kim war so herrlich selbstzentriert, daß sie mit manchen Situationen erfrischend pragmatisch umging.
Ich half Edvard, das Essen aufzutragen – so hilfreich sich Malvyn in den ersten Wochen gezeigt hatte, inzwischen verhielt er sich wie jeder andere Junge in seinem Alter –, dann rief ich alle zu Tisch. Raimondo wollte natürlich nicht, aber ich zwang ihn, sich wenigstens zu uns zu setzen. Er hatte angeblich keinen Appetit; es mußte wirklich schlimm um ihn stehen.
„Wann wird Adrian denn beerdigt?“ fragte Kim. „Steht das schon fest?“ Raimondo hob es fast aus dem Stuhl. Kim war einfühlsam wie eine Dampfwalze auf dem Friedhof. Edvard, meine Mutter und ich schickten böse Blicke über den Tisch, sie schaufelte geruhsam Schneekartoffeln auf die Teller. „Bitte? Ich hör nichts. Hier ist ’ne verdammt schlechte Verbindung.“
„Kim!“ sagte ich.
„Was denn? Wenn mir keiner antwortet.“
„Übermorgen auf dem Friedhof am Perlacher Forst“, sagte meine Mutter, die vor dem Essen ungefähr mit der Hälfte des Krankenhauspersonals telefoniert hatte, um herauszufinden, welches Bestattungsinstitut von Adrians Eltern beauftragt wurde, sowie Ort und Termin der Beisetzung.
Friedhof am Perlacher Forst. Wie romantisch sich das anhörte. Wer wußte schon, daß er zwischen zwei Autobahnen lag und direkt an die Strafanstalt Stadelheim angrenzte. Es war eine Gemeinheit, Adrian dort zu beerdigen.
Raimondo zuckte, als er das hörte. Er hätte für seinen Geliebten bestimmt einen schönen Ort ausgesucht, auf dem Nordfriedhof zum Beispiel oder gar auf dem Neuen Südlichen Friedhof, der an das Bermudadreieck angrenzte. Aber er hatte kein Recht, er durfte gar nichts entscheiden. Wenn er seinen Adrian besuchen wollte, würde er an den hohen Mauern und der Stacheldrahtumzäunung des Gefängnisses vorbeilaufen und seine Gebete gegen den Motorenlärm der Autos anstimmen müssen.
„Ich geh nicht hin“, murmelte Raimondo.
„Bitte?“ fragte Kim.
„Er will nicht hingehen“, sagte Malvyn, der neben ihm saß.
„Gehört haben wir Sie, aber verstanden nicht“, sagte meine Mutter und setzte sich auf. „Wieso wollen Sie nicht auf Adrians Beerdigung?“
Raimondo schaute in die Runde. „Seine Eltern würden eine Szene machen. Ich will die Beerdigung nicht stören.“
„Nicht stören?“ Mutter echauffierte sich. „Eine Beerdigung ist doch keine Privatveranstaltung. Sie müssen hingehen, das steht außer Frage.“
Edvard und ich schauten uns erstaunt an, Raimondo senkte den Blick.
„Gut, ich sehe schon. Es muß jemand mit“, sagte meine Mutter resolut – ich konnte nur staunen.
„Oh, ich kann nicht“, wehrte Kim ab. „Ich habe einen wichtigen Termin.“ Mit ihr hatte auch keiner ernsthaft gerechnet.
Als nächster entschuldigte sich Edvard. Ein Mitarbeiter hätte eine Wurzelbehandlung, und der andere sei in Urlaub. Er könne seinen Laden nicht schließen. Es wäre auch eigenartig gewesen, Raimondo war mein Freund, nicht Edvards. Es war also an mir. „Aber ich habe nicht mal einen schwarzen Anzug“, sagte ich, eine ziemlich fadenscheinige Entschuldigung, aber ich haßte Beerdigungen. Der
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