Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
potentiellen Lebenspartner gibt es keinen Punkt, den er erfüllt. Aber er fasziniert mich. Und ja, ich habe ihn gern.“
Ich hätte viel dazu sagen können, zum Beispiel, daß Malvyn ja vielleicht schon allein deswegen gut für Max war, eben weil er all die Kriterien nicht erfüllte. Aber ich hatte mir vorgenommen, mich nicht einzumischen.
„Er ist auf dem Weg zu dir. Versprich mir nur eins: Sei lieb zu ihm. Tu ihm nicht weh, sonst kriegst du es mit mir zu tun.“
„Grrr!“ Max knurrte ins Telefon.
„Ja, is gut“, sagte ich. „Ich weiß, daß es mich eigentlich nichts angeht … Viel Vergnügen noch.“
„Wünsch ich dir auch“, sagte Max.
In Anbetracht seines Vergnügens kam ich mir in diesem Moment ziemlich verarscht vor.
Bernhard *
Ein gemeinsamer Freund von Raimondo und mir rief am Montag vor den großen Ferien in der Schule an, um mir ausrichten zu lassen, daß Adrian in der Nacht verstorben war; Raimondo sei in einem desolaten Zustand. Das war um Viertel nach zehn. Als mir die Sekretärin um kurz nach halb elf die Nachricht überbrachte, ließ ich ihren Blick unkommentiert. Statt dessen gönnte ich meinen Rabauken eine Pause und lief ins Lehrerzimmer, um Raimondo anzurufen. Er ging nicht ans Telefon.
Die folgende halbe Stunde war ein Alptraum: Meine Schüler merkten mir meine Anspannung und Unfähigkeit, mich zu konzentrieren, an und nutzten es schamlos aus. Papierschnipsel flogen durch das Klassenzimmer, Briefchen wurden getauscht und in einer Tour gequatscht. Ich verhaspelte mich, weil ich den Blick nicht von der Uhr nehmen konnte, die über der Tür gemächlich vor sich hintickte, als hätte sie Ferien. Um Viertel nach elf hielt ich es nicht mehr aus und schickte die Bande nach Hause.
„Wir nehmen hitzefrei“, sagte ich, wischte mir den Schweiß von der Stirn und schaute durch die regennassen Fenster in den grauen Himmel. „Aber leise, Leute. Leise. Ich will keinen Ärger. Und keine Silbe davon zu irgend jemand. Okay?“
„Okay“, flüsterten sie und strahlten. Ich wußte, daß ich deswegen am nächsten Morgen zum Direktor zitiert werden würde, aber das war mir in dem Moment egal.
Ich war als erster aus der Tür. Ich nahm mit jedem Schritt vier Stufen auf einmal und ließ mich von einem Taxi zu Raimondo fahren.
„Raimondo, mach auf! Raimondo, ich bin’s, Bernhard.“ Ich klingelte und klopfte. „Raimondo. Komm schon! Mach endlich die Tür auf!“ Nach einer Weile hörte ich etwas knarren, dann ein schlurfendes Geräusch, das sich näherte. Die Tür ging auf, und ich sah das ganze Elend. Raimondo wirkte apathisch, ich war mir nicht mal sicher, ob er mich wirklich erkannte.
Ich schob ihn in die Wohnung, schloß die Tür und umarmte ihn, drückte ihn so fest, als hätte ich Angst, er könnte auseinanderfallen; er zitterte. „Raimondo. Es tut mir so leid. Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst. Aber du darfst dich jetzt nicht hängenlassen. Adrian würde das nicht gefallen.“ Er erwiderte meine Umarmung nicht.
Ich hakte mich bei ihm unter und zog ihn ins Wohnzimmer. Er machte nur kleine Schritte und starrte vor sich hin. Ich setzte Raimondo in den Sessel, dann ging ich an die Bar und nahm das erste scharf riechende Zeug, füllte ein Glas damit und flößte es ihm ein; er ließ alles mit sich geschehen. Dann zog ich ihn an mich heran, streichelte über seine Glatze, seinen Nacken, seinen Rücken: „Das Leben geht weiter, Raimondo. Du darfst dich nicht hängenlassen. Das ist das Schlimmste, was du jetzt tun kannst.“
Er reagierte nicht. Es machte mich traurig, meinen besten Freund in diesem Zustand zu sehen. Er trug ein altes Hemd, der Reißverschluß seiner Hose war offen, er hatte nur einen Strumpf an, und das Erschreckende war: Ich konnte riechen, daß er sich nicht gewaschen hatte.
„Okay, wenn du nicht mehr dazu fähig bist, dann werde ich eben dafür sorgen, daß dein Leben weitergeht. Als erstes wirst du gebadet, dann zieh ich dich an, und dann gehen wir spazieren. Schau, die Wolken reißen auf, womöglich scheint gleich noch die Sonne.“ Wieder keine Reaktion.
Es kostete mich einiges an Kraft, ihn aufzusetzen, dann drückte ich ihm einen Kuß auf die Wange und zerrte ihn ins Bad. Dort ließ ich Wasser in die Wanne einlaufen, drehte die Fußbodenheizung an und legte ein Badetuch bereit.
Es dauerte eine Weile, bis ich ihn ausgezogen hatte, und es blieb mir nichts anderes übrig, als mit ihm in die Wanne zu steigen, denn er war einfach zu schwer und
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