Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
Erde auf den Sarg, da kamen derselbe junge Mann und Adrians Vater auf uns zu. Ich zog Herrn Raimondo fest an mich heran; er sollte spüren, daß er nicht alleine war. Sie sagten genau das, was Edvard prophezeit und wovor er Herrn Raimondo gewarnt hatte: Sie würden dafür sorgen, Herrn Raimondo zu ruinieren. Ein Nachlaßverwalter sei schon beauftragt. Adrian und er hätten schließlich in einer Wohnung gewohnt, und da sie keine Gütertrennung vereinbart hatten, galt das als Zugewinngemeinschaft. Damit gehöre Adrian ganz selbstverständlich die Hälfte von allem und nach seinem Tod nun den Erben.
Es war so menschenverachtend, wie sie mit Herrn Raimondo sprachen. Ich schaute zu ihm auf, weil ich erwartete, daß er etwas erwidern würde, aber er starrte nur auf das Grab. Es schien, als würde er nichts von alledem hören.
Ich war entsetzt. „Schämen Sie sich denn nicht?“ fragte ich die beiden. „Ihr Sohn war drei Jahre lang schwer krank. Sie haben sich kein einziges Mal um ihn gekümmert. Und nun bedrohen Sie den Menschen, der das getan hat, was Ihre Pflicht gewesen wäre?“ Als Antwort darauf beschimpften Vater und Sohn nun mich.
Einer von Adrians Freunden trat dazwischen und sagte ihnen auch die Meinung: „Spielen Sie doch nicht die Gerechten hier. Gegen Gottes Willen bezeichnen Sie die Liebe zwischen Männern? Wie wollen Sie denn das nennen, was Sie gerade veranstalten? Eine Lektion in Nächstenliebe vielleicht? Einen Sohn verstoßen, nur weil er nicht so lebt, wie Sie es von ihm erwarten. Tha! Zu so viel Liebe, wie sie Herr Bortalozzi für Ihren Sohn aufgebracht hat, sind Sie doch gar nicht fähig. Auf die Knie sollten Sie fallen und Ihren Sohn um Vergebung bitten, anstatt Schuld zuzuweisen.“
Die Familie antwortete ihm mit Worten, die ich schnell wieder vergessen habe, so abscheulich waren sie. Daraufhin traten noch zwei weitere Freunde von Adrian hinzu, und binnen Sekunden entbrannte ein heftiger und sehr lauter Streit. Vorwürfe und Schuldzuweisungen wurden ausgesprochen, so schnell, daß ich ihnen nicht folgen konnte, und schließlich kam es zu Handgreiflichkeiten.
Herr Raimondo stand neben dem offenen Grab, während fünf Männer einander anbrüllten, an den Sakkos und Schlipsen zerrten und sich gegenseitig ohrfeigten. Herr Raimondo schaute sie entsetzt an und flehte, sie mögen nicht so sprechen, nicht hier am Grab seines Geliebten. Er bettelte, aber die Gemüter waren so erhitzt, sie hörten nicht auf ihn. Sie hörten nicht mal auf den Pfarrer, der einzuschreiten versuchte. Im Gegenteil, sie schaukelten sich nur weiter auf. Erst als Herr Raimondo zusammenbrach, als er zitternd auf dem Boden lag wie mein Theo bei seinem Herzinfarkt, erst dann schwiegen sie. Aber dann war es auch schon zu spät. Herr Raimondo hatte einen starren Blick, als sähe er ein Gespenst, er jaulte wie ein tödlich verwundetes Tier, und bald zitterte und bebte er nicht mehr, sondern strampelte und schlug wild um sich.
Ich konnte nur zurücktreten und warten, bis ihn die Sanitäter auf eine Trage geschnallt hatten und die Spritzen anfingen zu wirken. Erst dann konnte ich ihm meine Hand auf die Stirn legen. „Verzeih“, sagte ich. „Bitte verzeih.“
Raimondo *
„Er wacht auf. Er kommt zu sich.“ Ich hörte Stimmen. Fern und dann wieder ganz nah. Es kam mir vor, als wäre mein Kopf in Watte gepackt. Meine Lider waren so schwer, daß ich glaubte, sie nicht heben zu können. Da war etwas an meinem Arm, ein Gewicht, nein, Wärme. Eine Hand? Ich versuchte, meinen Kopf zu bewegen, aber er fühlte sich an wie aus Beton.
„Raimondo. Ich bin’s, Bernhard.“
Bernhard? Bernhard! Ich öffnete die Augen mit aller Kraft. „Wo bin ich?“
„Ganz ruhig, Raimondo.“ Er strich mir über die Stirn. „Du bist in … einem Krankenhaus“, sagte er.
Ein Schatten legte sich über mich, nein, es war das Gesicht einer Frau. Alt, Falten. „Herr Raimondo. Geht es Ihnen besser?“
„Was ist passiert?“ fragte ich.
Da war ein lautes Geräusch, und zu meinen Füßen fühlte ich …
„Raimondo, Raimondo. Was machst du nur für Sachen?“ hörte ich jemanden auf Italienisch sagen. „Wir haben uns solche Sorgen gemacht. Schau doch nur Maria an, sie weint. Sie weint um dich. Was soll ich nur mir ihr anfangen?“
„Giancarlo?“
„Ja natürlich, du Dummkopf. Wer denn sonst?“ Ein dunkles Gesicht küßte mich links und rechts, dann zerrte jemand an meinem Arm.
Giancarlo, mein Bruder, mit seiner Frau Maria. Was taten sie in
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