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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Niederwieser
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München? „Bin ich tot?“ fragte ich. Ich kam nur sehr langsam zu mir, erwachte wie aus einem tiefen Schlaf.
    „Bernardino, der gute Junge. Er hat uns angerufen und alles erzählt. Wir sind gekommen, um dich einzupacken und mitzunehmen. Du brauchst Ruhe, viel Ruhe, haben die Ärzte gesagt. Du mußt nach Hause, nach Italien.“
    „Aber wo ist Adrian?“
    Giancarlo schüttelte den Kopf und wendete sich ab. Ein anderes Gesicht erschien vor meinen Augen. Ich glaubte, es zu kennen. Bernhard?
    „Nicht aufregen, Raimondo. Es ist alles in Ordnung.“ Bernhard drehte sich weg. „Könnt ihr mich einen Moment mit ihm allein lassen?“ hörte ich ihn fragen, dann Schritte und eine Tür.
    Er lächelte mich an; er war so lieb, meine große Liebe. Ich wollte meine Hand nach ihm ausstrecken und ihn streicheln, aber ich schaffte es nicht. „Bernardo.“
    Er nahm meine Hand, legte sie mir auf die Brust und hielt sie liebevoll fest. „Dir ging es nicht besonders gut, nachdem Adrian gestorben ist.“
    „Adrian ist tot?“ Ich wiederholte den Satz. Ich war mir sicher, daß er etwas für mich bedeuten sollte, aber ich spürte nichts. Die Worte waren belanglos und doch auch nicht.
    Bernhard nickte. „Ich habe deinen Bruder angerufen. Maria und er nehmen dich jetzt mit nach Italien, damit du dich von der ganzen Sache erholen kannst.“
    Ganze Sache? Was meinte er damit? „Aber …“
    „Schsch! Glaub mir, es wird dir guttun. Wir werden dich sehr vermissen, aber wenn wir es schaffen, kommen wir dich besuchen. Okay?“
    „Italien?“
    „Am besten ist es, wenn du jetzt gar nicht denkst. Vertraue uns einfach, vertraue mir, vertraue meiner Mutter.“
    „Deine Mutter?“
    „Signora Lydia“, sagte er und versuchte, meine Aussprache nachzuahmen.
    „Ist sie denn hier?“
    Bernhard nickte.
    „Darf ich sie sehen?“
    „Klar“, sagte er und strich mir über den Bauch. „Warte, ich hole sie.“
    Er verschwand aus meinem Blickfeld, aber inzwischen konnte ich meinen Kopf etwas bewegen, obwohl es mir immer noch unglaublich schwerfiel.
    Signora Lydia kam ins Zimmer. Sie war so schön. Sie sah aus wie ein Engel. Und als sie an das Krankenbett herantrat, roch ich den unwiderstehlichen Duft von Tosca.
    „Herr Raimondo. Ich bin ja so froh, daß es Ihnen besser geht. Ich habe mir solche Sorgen um Sie gemacht.“
    „Wirklich?“
    „Ja, wirklich“, sagte sie.
    „Bernhard hat gesagt, ich soll mit meinem Bruder nach Italien fahren. Finden Sie das auch?“
    Sie nickte, und ich sah, daß sich ihre Augen mit Tränen füllten.
    „Werden Sie mich denn mal besuchen kommen?“ fragte ich.
    Jetzt liefen kleine, klare Perlen an ihren Wangen herunter. Mühevoll hob ich meine Hand und wischte sie weg. Sie umfaßte meine Finger mit ihren zierlichen Händen und hielt sie fest. Dann schloß sie die Augen und gab meiner Hand einen Kuß.
    „Auf Wiedersehen“, sagte sie und ging schnell weg, viel zu schnell.
    „Ja, auf Wiedersehen“, sagte ich, und es kam so langsam über meine Lippen, daß ich befürchtete, sie würde es nicht mehr hören. „Ich hoffe, daß wir uns sehr bald wiedersehen.“
    „Bestimmt, Herr Raimondo. Bestimmt“, hörte ich sie sagen, und es klang wie das Echo aus einer anderen Welt.

Edvard *
     
    Na super! Die großen Ferien begannen, eine jener kurzen Phasen des Jahres, in denen sich Bernhard nach meinem Lebensrhythmus richtete, und wir waren ausschließlich mit den Problemen anderer Leute beschäftigt.
    Es war klar, daß Raimondo nach seinem Ausklinker Beistand brauchte, und es war selbstverständlich, daß wir uns dafür Zeit nahmen. Obwohl ihn die Ärzte schon nach zwei Tagen entlassen hätten, blieb er auf eigenen Wunsch eine ganze Woche lang auf Station – für einen Privatpatienten kein Problem. Als er dann einem Therapeuten gestand, daß er panische Angst davor hatte, in seine Wohnung zurückzukehren, da ihn dort alles an Adrian erinnerte, überwiesen sie ihn in die Lauterbachklinik an den Osterseen.
    „Nach Italien will ich jetzt noch nicht“, sagte er, und wir konnten nur vermuten, daß Raimondo nun nicht auch noch Bernhard verlieren wollte. Also reisten Giancarlo und Maria zwei Tage später wieder ab, weil ihr Sohn, der in Portofino ein angesehenes Restaurant führte, in der Haupturlaubszeit auf sie angewiesen war; schließlich war in ein paar Tagen Ferragosto, der fünfzehnte August, ein großer Feiertag der Italiener.
    Natürlich mußte jemand Raimondo Wäsche und Waschzeug bringen, den Bademantel und Pyjamas.

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