Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
dabei doch sehr weich an. Dann stand er auf und mit ihm auch Bernhard, der Edvard und die Kleine aus dem Schlafzimmer holte.
„Du hast dann wohl heute keine Zeit“, sagte Herr Bortalozzi zu Bernhard.
Edvard und Bernhard wechselten Blicke, dann zuckte Edvard mit den Schultern.
„Mama, ich muß Raimondo helfen. Ich bin bald wieder da.“
Und ich? Was sollte ich inzwischen tun? „Geh nur“, sagte ich. „Ich weiß schon was mit mir anzufangen.“
Edvard zog der Kleinen das Mäntelchen über, Bernhard schlüpfte in einen schwarzgrau-changierenden Anorak, nahm Hannah auf den Arm und ging. Er verabschiedete sich nicht einmal von Edvard, der ganz betreten zu mir herüberschaute.
„Ciao, Eduardo. Ciao, signora. Arrivederci.“
„Ciao, Herr Bortalozzi. Auf bald!“ rief ich ihm hinterher und winkte.
Sobald die Tür ins Schloß gefallen war, machte sich Edvard daran, den Eßtisch abzuräumen; ich wollte ihm dabei helfen. „Nein, nein, bitte. Bleiben Sie sitzen. Das geht ganz schnell.“
Aber ich ließ mich nicht abhalten. Ich nahm das Kinderbuch vom Tisch und legte es in die Kiste, dann bückte ich mich hinunter, um den Rest einzusammeln.
„Um Gottes willen, Frau Moll, das ist doch viel zu anstrengend.“ Edvard kam aus der Küche und sortierte die Spielsachen fein säuberlich in die Kiste.
„Das Mädchen ist wohl öfter bei Ihnen zu Gast?“
„Ja, das kann man so sagen. Hat Ihnen Bernhard nicht von Hannah erzählt?“
Ich schüttelte den Kopf, sagte aber nicht, daß Bernhard mir schon seit Jahren nichts mehr erzählte.
Er schaute auf, und wieder hatte ich den Eindruck, daß ihm etwas auf den Lippen lag. Statt dessen hob er die Kiste auf und trug sie weg. „Wissen Sie, Kim ist ein liebes Mädchen“, sagte er, als er zurückkam, „aber mit Hannah völlig überfordert.“
Ein paar bunte Steine waren unter dem Tisch liegengeblieben. Er ging auf alle Viere, um sie zu holen. „Und wir haben die Kleine gerne hier. Wir können ja keine eigenen Kinder haben.“ Er sagte dies, als hätte ihm die Natur da einen bösen Streich gespielt. Aber beides kann man eben nicht haben; da müssen sich diese Männer eben entscheiden.
„Haben Sie denn auch mal an das Kind gedacht?“ fragte ich.
Edvard kroch wieder unter dem Tisch hervor, drehte sich um und lehnte sich an das Tischbein. „Wir denken nur an das Kind“, antwortete er und schaute mir geradewegs in die Augen.
„Glauben Sie nicht, daß ein Kind einen Vater und eine Mutter braucht?“
„Ich glaube, ein Kind braucht vor allem Liebe, und das so viel, wie es nur irgendwie geht. Es braucht Menschen, die sich Mühe geben, es zu verstehen, und am meisten braucht es, daß es so akzeptiert wird, wie es ist. Und all das geben wir Hannah nach besten Kräften.“
Dieser junge Schnösel saß vor mir auf dem Boden und hielt mir einen Vortrag über die Liebe zu Kindern. „Ich habe selbst fünf Kinder großgezogen. Und es waren meine eigenen. Ich weiß, was Kinder brauchen.“
„Das habe ich auch mit keiner Silbe bezweifelt“, antwortete er und stand auf.
Ich hatte ihm eigentlich böse sein wollen, wenngleich ich nicht mehr genau weiß, warum. Aber da stand er dann schon in seiner vollen Größe vor mir, lächelte mich an und streckte seine Hand nach mir aus. „Kommen Sie. Setzen wir uns ins Wohnzimmer. Ich zeige Ihnen die Fotos von unserem letzten Urlaub in Schweden.“
Raimondo *
Hannah tanzte von einem Bein auf das andere, versuchte, mit der Zunge einige der wenigen Schneeflocken zu erhaschen, die vom Himmel fielen wie feine, weiße Schokoraspel, und zwitscherte ein paar schiefe Töne. Mein kleines Äffchen, sie ist die Freude meines Alters.
Plötzlich blieb sie stehen, drehte sich um und streckte die Arme aus, um Schranken zu imitieren. Ich hielt an und machte ein erschrockenes Gesicht: „Oje, müssen wir jetzt Zollgebühren bezahlen?“
Hannah nickte und strahlte. Also zog ich einen bacio, einen italienischen Schokokuß, aus meiner Manteltasche und gab ihn ihr. Sie wickelte ihn unbeholfen aus dem Silberpapier, wobei sie ihre Lippen bewegte, als benötigte sie deren Hilfe dazu, und schob sich die Kugel in ihren Schnabel. Hannah ist ein wahrer Segen.
Bernhard schlurfte mit krummem Rücken neben mir her. Er war in Gedanken versunken, kein Wort kam über seine Lippen.
„Was machst du nur für ein Gesicht?“ fragte ich.
Er blickte auf, sagte aber nichts. Selten bot er freiwillig eine Erklärung für seine Stimmungstiefs an; immer mußte man
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