Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
Mantel mit einem Kragen aus Pelz-Imitat. Seit sie die Modellagentur leitete, kleidete sie sich seriöser, „um sich von den Modells zu unterscheiden“, wie sie mir mal erklärt hatte. Sie färbte sich auch das Haar nicht mehr in dieser künstlichen Puddingfarbe, sondern trug es jetzt schulterlang und in ihrem natürlichen Dunkelblond – wenigstens glaubte ich, daß das ihre natürliche Haarfarbe war. Daß man sich bei diesen Temperaturen einen Schal umband, war ihr allerdings fremd; unter dem Revers lag ihre schneeweiße Brust bloß. Früher hätte ich sie dafür gescholten, aber nun wurde sie bald neunundzwanzig; es stand mir nicht mehr zu.
Ich küßte sie, sie küßte Bernhard.
„Na, ihr Lieben. Ich muß leider gleich weiter. Es wartet jemand im Auto auf mich.“ Sie strahlte. Eine neue Errungenschaft?
„Wir sehen uns morgen, ja?“ sagte sie.
„Morgen?“
„Na, zu meiner ‚Lesung‘.“ Sie betonte das „meiner“ und zwinkerte uns dabei geheimnisvoll zu. Und da erinnerte ich mich: Ein Verlag hatte sie engagiert, um aus einem Buch zu lesen, das dieser Schriftsteller unter einem Pseudonym geschrieben hatte. Max Roth hieß er, ein Freund von Edvard. „Kimmi, ich werde mich bemühen. Aber du weißt ja …“ Ich deutete auf die Schlafzimmertür.
„Schau halt mal! Vielleicht klappt’s ja doch.“ Und zu Bernhard: „Aber wir sehen uns, nicht wahr?“
„Du wolltest doch, daß wir Hannah nehmen. Oder?“
„Na klar. Also dann.“ Sie nahm ihre kleine Tochter auf den Arm, wir verabschiedeten uns, und dann hatte ich meinen Bernhard endlich für mich.
„Die Lesung“, sagte Bernhard und verdrehte die Augen. „Ich würde Kim den Erfolg ja gönnen, aber Max nicht. Hoffentlich kommt kein Mensch.“
„Bernhard!“ Ich rügte ihn und kniff ihm ins Kinn; er konnte so unbarmherzig sein. „Ich würde ja hingehen“, sagte ich, „aber dieses Geschreibsel interessiert mich einfach nicht.“
Bernhard grinste mich an. Erst da bemerkte ich, wie abfällig ich selbst gesprochen hatte. Wir mußten lachen. O Herr, wie gut mir das tat. Ich streckte den Arm nach ihm aus und küßte ihn; ich mußte einfach seine Lippen schmecken. Dann räusperte ich mich: „Sollen wir einen Campari zischen, bis Adrian aufwacht?“
Er nickte.
Ich gab ein paar Eiswürfel in zwei hohe Gläser und übergoß sie mit dem roten Gift. Bernhard ging inzwischen zum Flügel hinüber. „Spielst du mir was vor?“ fragte er, als ich mich zu ihm gesellte.
Ich schaute auf die Uhr. „Wieviel Zeit hast du?“
„Genug.“ Er starrte aus dem Fenster.
So hatte ich ihn kennengelernt. Still, undurchdringlich, voller Sehnsucht nach Nähe und mit einer unglaublichen Angst davor.
Ich stellte mein Glas auf die Fensterbank, klappte den Flügel auf und setzte mich. Dann spielte ich drei der fünf Miniaturen aus Ravels Suite Ma Mere, L’Oye. Meine Finger waren steif von der Kälte, zudem waren sie in den letzten Monaten aus der Übung gekommen. Einige Male verhedderte ich mich, aber Bernhard schien es nicht zu bemerken. Dabei wünschte ich mir so sehr, daß er mich bemerkte, sich umdrehte und seine Hände auf meine Schultern legte, so wie ich es damals getan hatte, an jenem ersten Abend, den er bei mir, den er mit mir verbracht hatte. Aber er tat es nicht.
Obwohl er für mich unerreichbar war, genoß ich die Stunden mit Bernhard. Wir hatten uns nur ein einziges Mal geliebt, damals, kurz nachdem wir uns kennengelernt hatten, am Sylvester vor vier Jahren. Jetzt waren wir Freunde. Besondere Freunde. Bernhard lebte mit Edvard, er war mit ihm „verheiratet“; aber in den Stunden, in denen er mir half, Adrian zu baden, gehörte er mir, und nur mir. Er wußte es, und ich wußte es. Ja, sogar Edvard wußte es.
Ich drehte mich zu ihm um. Das Glas in der Hand, starrte er immer noch hinaus; die Eiswürfel waren schon fast geschmolzen.
Er neigte den Kopf zu mir herunter und küßte mich geistesabwesend. „Danke“, flüsterte er und strich mir über das bare Haupt, legte die Hand an meine Wange und schaute mich mit seinen wunderschönen Augen an. Es war überwältigend zu spüren, wieviel Liebe in ihm steckte. Schade nur, daß er sie so selten aus ihrem Gefängnis ließ.
„Wie geht‘s ihm?“ fragte er, nahm einen Schluck Campari und setzte sich aufs Fensterbrett. Ich hatte Bernhard von Anfang an in die Details über den Gesundheitszustand von meinem Adrian eingeweiht.
„Prächtig“, antwortete ich. „Er schläft viel. Wenn er wach ist, sitzt er
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