Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
Kraft. Die Energie zwischen den beiden hatte eine belebende Wirkung auf mich.
„Ach je.“ Edvard legte sich die Hand an die Stirn. „Jetzt haben wir vergessen, Kuchen zu kaufen. Können Sie noch ein paar Schritte gehen, Frau Moll?“
„Ehrlich gesagt, ich wäre froh, wenn ich mich mal setzen könnte.“
„Taxi zum Marienplatz geht nicht. Alles Fußgängerzone.“ Edvard schaute meinen Sohn an. „Soll ich allein, und ihr fahrt schon mal nach Hause?“
„Nein. Nein.“ Ich wollte keine Umstände machen und schon gar nicht die beiden auseinanderreißen. „Ein bißchen geht es schon noch.“
„Wirklich?“ fragte Bernhard. „Wir könnten eine Station mit der U-Bahn fahren.“
„Gut.“ Ich wollte wirklich keine Umstände machen, aber ich konnte halt nicht mehr so wie früher.
Edvard hielt mir wieder seinen Arm hin. Ich schaute zu meinem Jungen auf, eigentlich nur um zu sehen, ob er wollte, daß ich mich auch bei ihm unterhakte. Er verstand es wohl als Aufforderung, denn er hielt mir daraufhin seinen Arm hin. Ich hakte mich auch bei ihm unter, das war mir recht, so gab ich keinem das Gefühl, ihn zu bevorzugen.
Auf der Rolltreppe zur U-Bahn-Station ließ mir Bernhard den Vortritt. Im Zwischengeschoß durfte ich mich wieder einhaken. Auf der zweiten Rolltreppe das gleiche Spiel. Unten angekommen ließ ich auch Edvards Arm los, ging ein Stück voraus, um Platz zu machen, und drehte mich nach meinem Jungen um. Dabei strauchelte ich, mein Bein knickte ein, und ich stolperte. Noch bevor ich den Boden berührte, fing mich Edvard auf. Gott sei Dank, denn ich stand nah an der Bahnsteigkante.
„Uuups“, sagte er, „das war aber knapp.“
Ich schaute ihn verdattert an. Edvard führte mich zur Bank; eine junge Frau stand auf und überließ mir den Platz. Als ich saß, schaute ich mich nach meinem Jungen um. Der stand reglos am Fuß der Rolltreppe und war kreidebleich.
Edvard muß den Schrecken in meinen Augen gesehen haben, denn auch er drehte sich um und lief dann auch gleich zu Bernhard. „He, was ist denn mit dir los?“
Bernhard hielt sich an Edvard fest, tastete seinen Körper ab.
„Was hast du?“
„Ich hab dich fallen sehen, Edvard. Du bist auf die Gleise gefallen. Ich dachte, du würdest sterben.“
Mein Junge machte sich mehr Sorgen um seinen Freund als um mich. Es mag eigenartig erscheinen, daß mich das nicht verletzte, aber ich war daran gewöhnt. Wenn ich oder eins unserer Mädchen hingefallen waren, hatte Theo uns auf die Beine geholfen, an der Hand genommen und war einfach weitergegangen. Wenn dagegen Bernhard oder mein ältester, Ludwig, sich verletzt hatten, war er immer in Aufregung geraten.
„Keine Angst, ich bin da“, sagte Edvard. Die Art und Weise, wie er mit Bernhards Angst umging, zeigte mir, daß dies nicht das erste Erlebnis dieser Art war. Edvard mußte Erfahrung darin haben.
Zu Hause angekommen, mußte ich mich erst mal hinlegen. Ich war ganz geschafft. Als ich dann am späten Nachmittag ins Große ging, war der Tisch schon wieder gedeckt – ich kam mir bald vor wie in einem Märchen.
Bernhard saß im Arbeitszimmer vor seinem Computer, Edvard schälte in der Küche Orangen.
„Marmelade“, sagte er, als er meines fragenden Blickes gewahr wurde. „Und? Gut geruht?“ Edvard strahlte mich an.
„Ja, danke.“ Ich beneidete meinen Sohn darum, so einen gutgelaunten Menschen um sich zu haben. Wie hatte ich es nur sechsundvierzig Jahre an der Seite eines Mannes ausgehalten, der mich nie auch nur ein einziges Mal so angelächelt hatte?
„Wir wär’s mit einer Tasse Tee?“
Im Alter ißt man nicht mehr so viel. Das liegt wohl auch daran, daß man nicht mehr so viel Appetit hat. Diese üppigen Mahlzeiten war ich jedenfalls nicht gewohnt. Aber der Tisch war schon gedeckt, und ich befürchtete, wenn ich ablehnte, würde ich ihre Pläne durcheinanderbringen. Also sagte ich: „Gerne. Kann ich was helfen?“
„Aber nein. Setzen Sie sich, entspannen Sie sich. Ich bin gleich bei Ihnen.“ Dann trat er an die Tür und rief: „Berni, kommst du? Deine Mutter ist wach.“
Wir tranken Tee, und Edvard erzählte mir ein wenig aus seinem Leben; Anekdoten von seiner Mutter, die seit Jahrzehnten in der Welt herumreiste und einem Guru folgte, den sie sich wohl nur einbildete. Geschichten, aus denen ich den Eindruck gewann, daß er sie vermißte – wie sehr hoffte ich, daß Bernhard so liebevoll über mich sprach. Das erklärte mir auch, warum Edvard, der sich ansonsten eher in der
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