Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)
stämmige, aber ziemlich huschige „Blumenhändlerin“, von der Edvard seine Ladendeko binden ließ, brachte Sträuße vorbei, „übriggebliebene aus dem Laden“, wie er behauptete, aber sie waren zu schön und zu frisch, als daß man es ihm hätte glauben können. Max kam zu Besuch – das war ja unvermeidlich; Jean-Paul und auch viele, die sonst nur selten bei uns zu Gast waren.
Anfangs besuchten sie uns nur aufgrund von Edvards Schwärmerei, bald, weil sie sich bei meiner Mutter das Herz ausschütten konnten. Einmal, es war abends um sechs, da kam ich nach Hause, und fünf Gäste saßen um den Eßtisch herum, mit meiner Mutter am Kopfende, da dachte ich schon, ich wäre in die Lindenstraße geraten, „Mutter Beimers Sprechstunde“. Ich wunderte mich sehr über sie.
Weil unsere Freunde fast ausnahmslos Männer waren, bemühten wir uns darum, die Frauen in unser Haus zu locken, mit denen wir engeren Kontakt pflegten, denn wir glaubten, daß es Mutter guttat, wenn sie ab und zu auch mal „weibliche Energien“ um sich hatte, wie Edvard das ausdrückte.
Ruth schaffte es erst in der zweiten Woche, vorbeizukommen. Mutter freute sich über ihren Besuch, weil es jemand aus ihrer Vergangenheit war, jemand, mit dem sie sich über „die guten alten Zeiten“ in Heidelberg unterhalten konnte, bevor der Tourismus einen Basar aus der Stadt gemacht hatte. Es gab einige Verbindungen zwischen den beiden, denn auch Ruths Eltern waren nie aus ihrer Heimatstadt weggezogen. So stellten sie fest, daß Mutter mit Ruths Cousine Erika, ohne es zu wissen, im selben Tanzkurs gewesen war. Auch ging Ruths Mutter zum selben Friseur wie meine, weil er nicht so „neumodische Möbel“ herumstehen hatte und immer noch bezahlbar war, während die anderen dreimal so viel verlangten.
Leider war Ruth auch immerzu im Streß, und so kam sie in der ganzen Zeit nur zweimal vorbei; ich wäre froh gewesen, sie öfters zu Besuch zu haben.
Ich hatte meine Zweifel, was Birgit anbelangte. Ich ging davon aus, daß Mutter, mit ihrem streng katholischen Hintergrund, mit Birgits unerträglicher Spiritualität Probleme haben würde. Das Gegenteil war der Fall. Birgit walzte in unsere Wohnung, ein paar Strähnen ihres dreifarbenen Haars wippten im Rhythmus, ihr Cape flatterte wie die Flügel einer Fledermaus, und im Nu bohrte sie sich mit ihrem stechenden Blick und der Magie einer guten Fee in das Herz meiner Mutter. Sie zogen sich in das Gästezimmer zurück – weiß Gott, worüber sie alles sprachen – und als sie Stunden später daraus hervortraten, lag in beiden Gesichtern ein verschwörerischer Glanz.
Mutter verstand sich mehr oder weniger mit allen, aber die Stunden mit Raimondo waren die Highlights ihres Besuches bei uns. Am Anfang ging ich davon aus, daß es mit dem Alter zu tun hatte, daß sie der gleichen Generation angehörten und die damit verbundene Sicht auf die Welt teilten. Dann, und das obwohl Edvard schon lange stock und steif behauptet hatte, Mutter würde Raimondo „Augen machen“, sah ich in ihrem Interesse für ihn die Mutter, die sich um den hilflosen Mann kümmerte.
Raimondo wurde tatsächlich immer hilfloser, ja, fast kindlicher. Es mochte mir einfach nicht in den Kopf gehen, daß Mutter nach meinem Vater jemals wieder einen anderen lieben könnte, daß sie überhaupt daran denken würde – letzteres war das einzige, womit ich recht behielt. Zudem wäre Raimondo, zumindest in sexueller Hinsicht, für sie ein enttäuschender Partner gewesen.
Der beleibte Italiener kam vielleicht zweimal die Woche, und immer brachte er ihr irgendwelche Aufmerksamkeiten mit: Pralinen, Blumen, ein Kräuterkissen für den guten Schlaf – er war eben ein Kavalier der alten Schule. Den Einstieg in die langen Gespräche, die sie führten, fanden sie über die Liebe zu Italien. Mutter, die kaum etwas von der Welt gesehen hatte, liebte dieses Land und hatte sich immer wieder damit beschäftigt. Sie verschlang die Romane von Donna Leon, hatte Im Namen der Rose vierzehnmal gesehen, Cinema Paradiso, ich glaube, schlappe dreißigmal – alles auf dem Videorecorder meiner Schwester Gudrun, denn in das Haus in Heidelberg fanden solche neumodischen Geräte niemals Einzug; sie machten ihr Angst.
Am liebsten ließ sie sich das Meer beschreiben, das Meer um Ischia herum, das Meer vor den Höhlen von Capri und den Ausblick von Positano darauf – Raimondos Bruder Giancarlo lebte dort, er besuchte ihn oft, selbst Edvard und ich waren schon mal da. Von
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