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Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition)

Titel: Eine Wohnung mitten in der Stadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Niederwieser
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preßte mich förmlich in meinen Sitz hinein. Doch dann, als wir eine bestimmte Geschwindigkeit erreicht hatten, war es ein angenehmes Gefühl, so dahinzugleiten. Ich kam mir vor wie eine Königin beim jährlichen Ausritt über ihre Ländereien, nur hatte ich es bestimmt bequemer.
    Später schielte ich auf das Tachometer. Einhundertsechzig. Mir wurde ganz schwindelig. „Mußt du so schnell fahren?“ fragte ich ihn.
    „Das Leben ist kurz, Mama.“
    Da hatte er recht.

Bernhard *
     
    Der Tagesablauf meiner Mutter sah in etwa folgendermaßen aus: Sie stand immer erst gegen neun auf. So war sie am Morgen, wenn ich in die Schule ging, nicht im Weg. Unter der Woche trank sie oft eine Tasse Tee mit Edvard, bevor er in den Laden ging.
    Nach dem Frühstück erledigte sie „Tüttelkram“ im Haushalt: Sie wischte Schränke aus, nähte Knöpfe an und ähnliches. Das war eigentlich der Job unserer Putzfrau, aber Mama sagte, sie sei es gewöhnt, etwas Nützliches zu tun, und so ließen wir sie. Dann setzte sie sich vor den Fernseher und sah sich das Mittagsprogramm an. Danach legte sie sich zwei Stunden hin, weil sie nachts nicht gut schlief, wie sie uns erklärte.
    Den späten Nachmittag verbrachte sie dann mit ihren Kreuzworträtseln, bis einer von uns nach Hause kam. Den fragte sie dann über das Tagesgeschehen in der Politik aus oder über die anderen Geschichten, die sie im Fernsehen gesehen hatte, zum Beispiel Bungee-jumping.
    „Stell dir vor, Bernhard. Ich habe gesehen, wie sich Menschen an einem Gummiseil festbinden lassen und dann von einem sechzig Meter hohen Kran springen. Warum machen die das?“
    „Vielleicht, weil sie schon alles erlebt haben, Mama“, antwortete ich. „Das Leben ist so sicher geworden, daß man die Gefahr suchen muß.“
    „Mein Gott, Junge. Ich hoffe, du machst so was nicht.“
    „Keine Angst, Mama.“
    Abends, während ich las und Edvard meist in der Küche herumwuselte, legte sie Patiencen, ging aber früh zu Bett; selten konnte sie das Neun-Uhr-Läuten der Kirchturmuhr erwarten. Mir war das ganz recht, so hatten wir Zeit für uns.
    Die Tage vergingen also ganz unspektakulär. Unkompliziert und mehr oder weniger anspruchslos fand Mutter sich in unser Leben ein. Trotzdem machte mich ihre Anwesenheit oft rasend, schon ihr bloßes Dasein. Es kam mir vor, als hätte jemand Juckpulver in meinen Hemdkragen gestreut; ich mußte mich ständig zusammenreißen, um nicht aus der Haut zu fahren. Irgendwie wartete ich auf den großen Knall.
    In der ersten Woche wagte ich nicht, Sex mit Edvard zu haben. Mit meiner Mutter in der Nähe hatte ich das Gefühl, etwas Schmutziges zu tun. Wenn sie etwas davon mitbekommen hätte, wäre ich vor Peinlichkeit im Erdboden versunken. Aber Edvard ließ nicht locker. Immer wieder versuchte er, mich mit der Fußball-Weltmeisterschaft, die gerade lief, heiß zu machen. Natürlich nicht mit dem Sport an sich, sondern mit den knackigen Ärschen der Spieler und ihren feisten Waden. Mein Mann war ganz verrückt nach dem französischen Torhüter.
    „Er hat eine Glatze, Edvard. Seit wann stehst du auf Glatzen?“
    Er zuckte mit den Schultern.
    „Er sieht brutal aus“, sagte ich. „Du erschreckst mich, Schatz.“
    „Ach, Berni. Er sieht nicht brutal aus. Nur männlich.“
    Ich dagegen fand den portugiesischen Mittelfeldspieler klasse. Aber das war ja kein Wunder: Er war das Ebenbild von meinem Edvard.
    Der italienische Torwart traf unser beider Geschmack. Und wir waren bitter enttäuscht, als wir hörten, daß er bald heiraten würde. Aus purem Kummer verweigerten wir zwei Tage lang Süßigkeiten.
    Eins irritierte mich noch mehr als das Juckpulver in meinem Hemdkragen: Edvard. Er war von meiner Mutter so angetan, daß er keinen anderen Gefühlszustand als Begeisterung zu kennen schien. Er erzählte allen Freunden von ihr, lobte sie in den höchsten Tönen, vernachlässigte sogar Hannah deswegen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, lud er andauernd Leute ein, damit sie meine Mutter kennenlernen konnten – als wollte er mit ihr prahlen.
    Mutter freute sich natürlich riesig über die Aufmerksamkeit, die ihr plötzlich zuteil wurde; mit jedem neuen Gast taute sie ein bißchen mehr auf und ließ sich auf allerlei Geplänkel ein.
    Ein Mal die Woche behandelte Lipstick ihre Nägel; Karli von Hohenschloßburg, unsere hochnäsige „Prinzessin“, brachte Mutter feine Pralinen vorbei – was uns völlig überraschte, weil er sonst so knausrig war. Barbarella, die

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